Liebe und Vergeltung
war wunderschön gewesen. „Ich weiß, der Augenblick ist sicher verfrüht“, sagte er ergriffen, „aber würdest du darüber nachdenken, meine Gattin zu werden?“
Überrascht richtete sie sich halb auf und fragte verwundert: „Ich soll dich heiraten?“
„Vielleicht hätte ich dich nicht darum bitten dürfen“, murmelte Benjamin und tupfte behutsam die Tränen fort, die auf ihren Wangen schimmerten. „Ich bin fast doppelt so alt wie du und auch kein sehr attraktiver Mann. Ich bin indes gutsituiert und verspreche dir, bestens für dich zu sorgen.“
„Du bist der interessanteste Mann, der mir je begegnet ist“, widersprach Jenny aus tiefster Überzeugung. „Ich kann dich jedoch nicht heiraten. Du bist ein Gentleman!“
„Ich kann jede Frau heiraten, die mich haben will“, erwiderte er lächelnd. „Bis jetzt hatte ich nur nie das Bedürfnis, in den Stand der Ehe zu treten.“
„Was sollen denn die Leute sagen? Ein Gentleman nimmt doch keine Dirne zur Gattin. Ich würde dir nur Schimpf und Schande bringen.“
„Du bist keine Dirne mehr, Jenny! Im Gegenteil, aus dir ist eine anständige junge Frau geworden, die es fertiggebracht hat, die Vergangenheit zu überwinden. Mach dir um die Zukunft keine Gedanken. Du hast es ausgezeichnet verstanden, dir ein neues Auftreten zu geben, und niemand wird je merken, daß du nicht den gleichen sozialen Hintergrund hast wie ich.“
„Du mußt mir keinen Heiratsantrag machen, nur weil wir eben beisammen gewesen sind“, wandte Jenny ein.
Benjamin zog sie an sich und streichelte ihr die Schulter.
„Früher habe ich stets nur das getan, was mir unerläßlich erschien. Ich studierte eifrig, arbeitete hart und verstieß nie gegen gesellschaftliche Spielregeln. Ich war überzeugt, meine Lebensauffassung würde eines Tages belohnt werden. Dann trat ich der Ostindienkompanie bei und war entschlossen, Erfolg zu haben. Doch plötzlich wurde ich zum Sündenbock für die Verfehlungen meines Vorgesetzten abgestempelt“, fügte Benjamin hinzu und seufzte, als er an die Ereignisse in Indien dachte. „Ich verlor meinen Posten, den guten Ruf, die meisten meiner Freunde und um ein Haar auch die Freiheit. Wäre nicht Prinz Balagrini gewesen, der mich, zugegeben auf etwas illegale Weise, vor dem Gefängnis bewahrt hat, säße ich heute hinter Gittern oder hätte längst den Tod gefunden.“ „Wie schrecklich!“ warf Jenny bestürzt ein.
„Ja“, sagte Benjamin und küßte sie auf die Nasenspitze. „Nach diesem Erlebnis war es mir gleich, was die Welt von mir hielt. Ich kam zu der Erkenntnis, daß es bei weitem besser wäre, an mich zu denken. Und es würde mich sehr freuen, wenn du einwilligst, meine Gattin zu werden. Aber nur dann, wenn du es möchtest.“
Jenny schwieg, weil sie wußte, daß sie sonst wieder weinen würde. Zögernd streichelte sie Benjamins Brust. Sie hatte so viele nackte Männer gesehen, ohne daß es ihr je etwas bedeutet hätte. Meistens hatte sie sich sogar gefürchtet oder geekelt. Nun sehnte sie sich danach, bei Benjamin zu sein, vielleicht für immer. Die Vereinigung mit ihm war wundervoll gewesen, ein ganz neues, beglückendes Erlebnis. Unversehens hatte sie gespürt, daß sie zu geben bereit war, willig und voller Leidenschaft. Und sie war sicher, daß sie eines Tages noch mehr für Benjamin empfinden würde. „Ja“, sagte sie fest, „ich möchte deine Gattin werden. Doch jetzt noch nicht. Später, falls du meiner nicht überdrüssig wirst.“
„Du könntest mich nie langweilen, Jenny“, entgegnete er warmherzig. „Aber ich will dich nicht drängen. Man sollte nie überstürzte Entscheidungen treffen, schon gar nicht, wenn es um eine Ehe geht. Laß dir Zeit, mein Schatz. Ich kann warten. Inzwischen jedoch ...“ Er neigte sich vor und küßte Jenny. „Inzwischen werde ich dich davon überzeugen, was du verlierst, wenn du mich nicht haben willst.“
William Kane lag flach im hohen Gras und hielt das Teleskop auf die beiden Reiter gerichtet, die ahnungslos den Weg über die Hügelkuppe entlangritten.
Er konnte kaum glauben, daß er so vom Glück begünstigt war. Erst heute war er in Surrey eingetroffen, um die Umgebung von Sulgrave Manor zu erkunden, und schon hatte er die beiden Männer entdeckt, die Sir Charles getötet wissen wollte.
Die Chance durfte er nicht ungenutzt verstreichen lassen, auch wenn der Baronet der Meinung gewesen war, es wäre besser, einige Tage zu warten. Eine Gelegenheit wie diese würde sich gewiß nicht
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