Liebe und Vergeltung
nicht vor?“
„Wie bitte?“ Verblüfft sah Michael den Freund an. „Willst du mir keinen Vortrag über moralische Maßstäbe halten?“ „Verdammt, Michael“, antwortete Alastair unwirsch, „dein Vorhaben findet ganz und gar nicht meine Billigung. Aber ich habe begriffen, daß du und Sir Charles Todfeinde seid, und sehe keinen Ausweg aus diesem Dilemma. Wenn schon einer von euch sterben muß, dann lieber er!“
Michael war froh, daß Alastair die Sache so nüchtern betrachtete. „Falls ich Weldon töten sollte, darf niemand auf meine Spur kommen“, sagte er bedächtig. „Aber es könnte sein, daß alle Vorsicht mir nichts nützt und ich England verlassen muß. Dann möchte ich es in der Gewißheit tun, daß du, der die Hintergründe am besten kennt, dich um Sara kümmerst.“ „Du willst sie ihrem Schicksal überlassen?“ fragte Alastair schroff. Der Gedanke erzürnte ihn weitaus mehr als die Vorstellung, einen möglichen Mörder zum Freund zu haben.
„Ich habe Sara nicht geheiratet, um sie leichten Herzens zu verlassen“, entgegnete Michael beschwichtigend. „Doch ich kann ihr nicht die Heimat nehmen, die Familie und Freunde, alles das, was ihr Leben ausmacht.“
„Laß sie das doch selbst entscheiden“, erwiderte Alastair erbost. „Ich schwöre dir, dich überall zu suchen, falls du Sara verstößt, und ich werde dich finden. Dann wirst du bereuen, daß du je nach England gekommen bist!“
„Jetzt klingst du fast wie ich“, stellte Michael belustigt fest. „Mein schlechter Einfluß macht sich bemerkbar.“
Ärgerlich schüttelte Alastair den Kopf.
„Glaub mir“, fuhr Michael eindringlich fort, „ich habe nicht vor, wie ein gemeiner Verbrecher zu fliehen, doch ebensowenig, Sara zu einer Entscheidung zu zwingen, bei der die eine wie die andere Alternative sie gleichermaßen unglücklich macht. Ich möchte nur, daß du auf alle Eventualitäten vorbereitet bist.“
„Ich kann dir nur raten, darauf zu achten, daß du nicht getötet wirst“, sagte Alastair kühl. „Sara würde sehr unter deinem Tod leiden, und ich möchte nicht genötigt sein, Sir Charles umzubringen, um Sara und mich vor ihm zu schützen.“
„Bei meiner Ankunft dachte ich noch, ich könnte mich auf leichte Weise an Weldon rächen“, bekannte Michael leise. „Inzwischen ist mir jedoch längst klar, wie viele Menschen in die Geschichte verwickelt wurden und wie kompliziert mein Leben geworden ist.“
„Wie gut, daß du endlich der Realität ins Auge siehst“, sagte Alastair trocken.
Und die Realität war, daran zweifelte Michael nicht, daß Sara sich gegen ihn entscheiden würde, falls sie eines Tages vor die Wahl gestellt wurde.
Beim Geräusch der sich nähernden Pferde legte William sich flach hin, die Jagdbüchse im Anschlag, und machte sich schußbereit.
Er hatte ein ideales Versteck gefunden, zwischen Felsbrocken und umgeben von Buschwerk. Der Weg, eine sandige Schneise, die tiefer lag als die Böschung, war etwa fünfzig Schritt von ihm entfernt. Die Reiter würden ein exzellentes Ziel bieten.
William war froh, daß er die Sache selbst in die Hand genommen und keinen anderen hergeschickt hatte. Der Trottel, den er in Slades Haus mitgenommen hatte, war so tolpatschig und von den unvermutet auftauchenden Wachen verstört gewesen, daß er vor lauter Unachtsamkeit angeschossen wurde.
Lord Alastair Carlisle und Michael Connery kamen näher.
William zielte auf Connery, der bestimmt der gefährlichere und auch der wichtigere Gegner war. Ein Abenteurer wie er würde wahrscheinlich nicht so schnell die Nerven verlieren und sich geistesgegenwärtig zur Wehr setzen. Den verweichtlichten Aristokraten, der vor Überraschung gewiß gelähmt sein würde, konnte William danach erledigen.
Auf Connerys Herz anlegend, verfolgte er den Reiter im Visier und drückte genüßlich ab.
Alastair sah das flüchtige Aufblitzen von Metall in der Sonne, doch das genügte ihm. Er begriff sofort, daß der direkt neben ihm reitende Freund das Ziel des Angriffes war.
„In Deckung!“ schrie er Michael zu, warf sich nach links und stieß ihn zur Seite.
Im gleichen Moment knallte ein Schuß.
Alastair spürte einen scharfen Schmerz und wußte, die für Michael bestimmte Kugel hatte ihn getroffen. Flüchtig kam ihm der Gedanke, wie ironisch es wäre, jetzt in England zu sterben, nachdem er so viele Gefahren überlebt hatte, in den weiten Wüsten Persiens, den Bergen Afghanistans und den usbekischen Steppen.
Und dann wurde ihm
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