Liebe und Vergeltung
festgenommen wird. Würdest du dann vor Gericht gegen ihn aussagen? Ich verspreche dir, daß du keine Nachteile zu erwarten hättest, weder durch ihn noch durch Mrs. Bancroft.“ „Ich würde es tun, auch wenn Sie mich nicht schützen würden, Sir“, versicherte Jane Miller, und ein harter Ausdruck erschien in ihren blauen Augen. „Ich würde nie zögern, dieses Scheusal an den Galgen zu bringen. Ich weiß so viel über ihn, daß jeder erröten würde, wenn ich die Einzelheiten schildere.“ Jenny lachte boshaft. „Der heuchlerische Kerl würde gewiß lieber auf der Stelle sterben, als seine schmierigen Machenschaften in die Öffentlichkeit gezerrt zu wissen. Für ihn wäre ein Prozeß die schlimmere Strafe!“
Mikahl nahm nicht an, daß sein Feind sich je vor einem Gericht verantworten mußte. Es gab andere Möglichkeiten,
Weldon zu vernichten. Falls es wider Erwarten doch zu einer Verhandlung kommen sollte, war Jane Miller aber eine äußerstwichtige Zeugin. „Du bist ein mutiges Mädchen“, meinte Mikahl anerkennend. „Ich danke dir für deine Bereitwilligkeit. Erst die Zeit wird zeigen, ob ich tatsächlich deiner Mithilfe bedarf. Bis es soweit ist, bist du hier gut untergebracht und kannst dich auf dein neues Leben einstellen. Als erstes wird Mr. Slade dafür sorgen, daß du andere Kleider erhältst.“
„Wie schön!“ sagte Jenny und seufzte erleichtert. „Dann kann ich die alten verbrennen, die ich immer tragen mußte.“ „Gestern nacht hat sie erwähnt“, wandte Mikahl sich an Benjamin Slade, „daß sie gern als Zofe arbeiten würde. Wir sollten eine erfahrene Frau einstellen, von der sie alles Notwendige lernen kann.“
„Das ist kein Problem“, stimmte der Anwalt zu. „Und wenn sie sich auskennt, wird sie bestimmt eine gute Stelle finden.“ „Danke“, flüsterte Jenny bewegt und senkte den Kopf, um die Verlegenheit zu verbergen.
„Mr. Slade weiß, wo er mich erreichen kann, falls du mit mir in Verbindung treten willst“, sagte Mikahl und stand auf. „Gute Nacht, Jane.“
„Ich begleite Sie hinaus.“ Benjamin Slade erhob sich, und die Herren verließen das Arbeitszimmer.
Nachdenklich schaute Jenny ihrem Retter nach. Sie hatte sich vor ihm gefürchtet, als sie ihn kennenlernte, besonders vor seinem Blick, der sie zu durchdringen schien. Selbst jetzt noch, nach allem, was er für sie getan hatte, fühlte sie sich unsicher in seiner Nähe. Sie hätte gern mehr über ihn gewußt, und fragte deshalb, sobald Mr. Slade zurückgekommen war: „Woher ist Mr. Balagrini? Anfänglich habe ich ihn für einen Iren gehalten, aber sein Akzent ist ganz anders. Ich habe noch nie jemanden so sprechen gehört wie ihn.“
Benjamin Slade nahm wieder Platz und lehnte sich bequem zurück. „Der Mann, der Sie zu mir gebracht hat, heißt Mikahl, Prinz Balagrini von Kafiristan. Das Land, aus dem er kommt, liegt in den Bergen Asiens und ist den meisten Menschen unbekannt. Aber mir ist aufgefallen, daß Sie sich gut auszudrücken verstehen, gar nicht wie ...“
„Wie eine Dirne? Das wollten Sie doch sagen, nicht wahr?“ „Entschuldigen Sie“, erwiderte Benjamin und spürte, daß
ihm vor Peinlichkeit die Röte in die Wangen stieg. „Ich wollte Sie nicht kränken.“
„Ich war doch eine Dirne“, stellte Jenny gelassen fest. „Also kann ich auch nicht beleidigt sein. Aber ich bin käuflich gewesen. Ich werde es nie wieder sein!“
„Sie sind ein ungewöhnliche Frau, Miss Miller“, murmelte Benjamin Slade und lächelte schwach.
„Ich kann sogar lesen und schreiben“, verkündete sie stolz. „Ich habe es von Miss Crane gelernt, einer ehemaligen Gouvernante, die bei uns in der Nachbarschaft lebte. Sie war verarmt und krank und freute sich, wenn ich bei ihr saubermachte und Besorgungen erledigte. Zum Ausgleich hat sie mir dann vieles beigebracht. Sie besaß eine Menge Bücher, die ich bei ihr lesen durfte.“
„Lebt sie noch?“
„Nein, eines Nachts ist sie im Schlaf gestorben. Danach hat Vater mich an Mrs. Bancroft verkauft. Vielleicht hatte Miss Crane ihn davon abgehalten, es früher zu tun. Irgendwie hatte er immer Respekt vor ihr.“
„Ich glaubte stets, nur ich wäre vom Schicksal benachteiligt“, murmelte Benjamin versonnen. „Doch nun sehe ich, daß ich nicht der einzige bin. Benutzen Sie die Bibliothek, wann Sie möchten. Und nun ist es Zeit, sich zur Ruhe zu begeben. Kommen Sie, Miss Miller.“ Er stand auf und merkte an ihrem Blick, daß sie befürchtete, mit ihm schlafen zu
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