Liebe und Vergeltung
müssen. „Seien Sie unbesorgt. Sie haben ein eigenes Zimmer. Ab morgen früh sind Sie für jeden meine junge Cousine, die ihre Eltern verloren hat und bei mir wohnt, bis Sie eine gute Anstellung gefunden haben.“ Er ging zum Schreibtisch, holte aus einer Schublade eine Geldkassette und schloß sie auf. Er entnahm ihr zwanzig Pfund, verschloß den Kasten und stellte ihn zurück.
„Warum geben Sie mir Geld, wenn Sie nichts von mir wollen?“ fragte Jenny und starrte mit großen Augen auf die Banknoten, die Mr. Slade ihr hinhielt.
„Damit Sie nicht das Gefühl haben, hier eingesperrt zu sein“, antwortete er freundlich. „Ich hoffe jedoch, daß Sie sich nicht davonstehlen werden.“
„Befürchten Sie denn nicht, daß ich mit dem ganzen Geld verschwinden könnte, nachdem ich jetzt weiß, wo Sie es verwahren?“ Sie war sichtlich verwirrt.
„Muß ich das annehmen?“
Jenny schluckte und schüttelte den Kopf. Sie begriff nicht, warum Mr. Slade Vertrauen zu ihr hatte. Aber da er keinen Argwohn hegte, war es für sie eine Selbstverständlichkeit, ihn nicht zu hintergehen.
Sie erhob sich, nahm die Pfundnoten und hielt sie fest in der Hand, während sie ihm ins obere Stockwerk folgte. Über ihn wunderte sie sich noch mehr als über den Prinzen. Aber bislang hatte sie ja auch nie Gelegenheit gehabt, einen wirklich anständigen Mann kennenzulernen. Daß der Prinz sie nicht wollte, hatte sie gleich gemerkt, doch es war unübersehbar, was Mr. Slade für sie empfand. Dennoch hatte er bis jetzt nicht versucht, sich ihr zu nähern. Im Gegenteil, er hatte ihr sogar Geld in die Hände gedrückt, damit sie sich versorgen konnte, falls sie gehen wollte! Dem Äußern nach zu urteilen hätte sie ihm das nicht zugetraut. Er war eigentlich kein Mann, der sofort auffiel. Nicht einmal beim zweiten Blick war er sonderlich bemerkenswert. Wieder einmal bestätigte sich, wie sehr der Anschein doch trügen konnte!
Mr. Slade öffnete die Tür zu einem Zimmer, das hübsch eingerichtet war und nicht so wirkte, als würde es häufig benutzt. Nachdem er eine gute Nacht gewünscht und Jenny allein gelassen hatte, mußte sie sich einen Moment setzen, um die Schwäche zu überwinden, die sie nach den Anstrengungen der Nacht überkam. Leicht schwankend erhob sie sich schließlich, kleidete sich mit zitternden Fingern aus, wusch sich und zog sich ein geflicktes Nachthemd an.
Matt und erschöpft schlüpfte sie ins Bett und schwor sich, nie wieder etwas zu tragen, was auch nur im entferntesten an die schrecklichen Kinderkleider erinnerte, die sie bei Mrs. Bancroft hatte anziehen müssen. Dieses Leben war ein für allemal vorbei. Aber sie würde nie vergessen, was ihr früher widerfahren war, und denen nicht verzeihen, die ihr diese Schmach angetan hatten. Voller Dankbarkeit, daß Prinz Balagrini und Mr. Slade ihr eine neue Chance gegeben hatten, die sie ganz gewiß nicht verschenken würde, schlummerte sie schließlich ein.
Es war früher Vormittag, als Sir Charles Weldon ein versiegeltes Billett überbracht wurde. Verwundert riß er den Umschlag auf, las die in knappen Worten gehaltene Nachricht und fluchte laut. Wütend zerknüllte er das Papier, warf es in den Kamin und verbrannte es.
Jennifer war geflohen! Eine der gewinnbringendsten Schlampen des ganzen Etablissements hatte gewagt, sich abzusetzen! Wahrscheinlich hatte einer ihrer Kunden sie überredet, seine Geliebte zu werden.
Aufgebracht stocherte Charles mit dem Schürhaken in den verglimmenden Resten der Botschaft, bis sie restlos zu Asche zerfallen waren. Der Teufel sollte Jennifer Miller holen! Ungeachtet der vielen Männer, die mit ihr zusammengewesen waren, hatte sie glänzend die Illusion zu erwecken vermocht, noch unberührt zu sein. Sie war eine gute Schauspielerin, deren unschuldige Ausstrahlung Charles stets aufs neue erregt hatte, wenn er das Mädchen besaß.
Sollte sie ihm je wieder über den Weg laufen, würde sie den Entschluß, ihm davonzulaufen, bitter bereuen. Bei dem Gedanken, wie er sie dafür büßen lassen würde, rieb er sich genüßlich die Hände.
8. KAPITEL
Elizabeth warf Brosamen ins Wasser und lachte entzückt über die Schwäne, Graugänse und Enten, die eifrig heranschwammen und sich die Krumen strittig machten.
Sara lächelte verständnisvoll, während auch sie die Tiere fütterte. Nach einem Einkaufsbummel und dem Besuch in einer Konditorei hatte sie beschlossen, bei dem schönen Wetter mit ihrer zukünftigen Stieftochter in den Hyde Park zu
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