Liebe und Vergeltung
heute nach dem Lunch mürrisch in die Bibliothek zurückgezogen, wo er sich seit Stunden aufhielt.
Marguerite zuckte zusammen, als unversehens die Tür geöffnet wurde und Sara den Salon betrat. Hastig legte sie den Stickrahmen auf das ovale, von einem durchbrochenen Messingrahmen bekränzte Nähtischchen und rief erfreut aus: „Sa-ra! Wirst wenigstens du mir jetzt sagen, was gestern vorgefallen ist? Komm, setz dich zu mir und berichte. Alastair hat mich nur in sehr groben Zügen informiert und wollte mir keine Einzelheiten mitteilen. Stimmt es, daß du Prinz Balagrini heiraten willst?“
„Ja“, antwortete Sara und ließ sich neben ihrer Tante nieder. „Hältst du mich jetzt für verrückt?“
„Nicht mehr als jede andere Frau, die sich Hals über Kopf verliebt hat“, erwiderte Marguerite heiter. „Wenn du schon einem Mann zuliebe den Verstand verlierst, dann ist es besser, wenn es sich um einen reichen und nicht um einen armen Gentleman handelt. Im übrigen will ich dir ehrlich gestehen, daß Weldon mir nie sehr sympathisch war. Den faszinierenden Barbaren finde ich viel interessanter.“
Sara hielt die Beschreibung, die Alastairs Mutter soeben von Mikahl gegeben hatte, für sehr zutreffend. Die Andeutung, daß sie vor Liebe den Kopf verloren hatte, behagte ihr allerdings weniger. „Mikahl kommt heute zum Dinner“, sagte sie lächelnd. „Ich nehme an, er wird mit Vater über den Ehevertrag sprechen.“
„Falls er das Gespräch mit Miles überlebt, muß er aus hartem Holz geschnitzt sein!“ stellte Marguerite fröhlich fest. „Du meine Güte, nun gibt es viel zu tun! Wir sollten uns zusammensetzen und eine Liste machen, was erledigt werden muß. Du darfst nicht vergessen, die Hochzeitsgeschenke zurückzuschicken, die dir und Weldon geschickt wurden.“
„Oh, je! Daran habe ich noch gar nicht gedacht!“ Sara seufzte. „Warum müssen herzbewegende Dramen immer mit solch lästigen Details enden? Jetzt kann niemand etwas mit den Geschenken anfangen, weil sie alle mit einem W graviert sind.“
„Ach, mach dir darüber keine Gedanken!“ erwiderte Marguerite achselzuckend. „In dieser Saison heiraten zwei Gentlemen, deren Namen mit einem W beginnen. Du kannst sicher sein, eure Geschenke werden bald ein neues Zuhause gefunden haben!“
„Du bist unmöglich!“ sagte Sara lachend.
„Das weiß ich“, stimmte Marguerite vergnügt zu. „Deshalb hat Roger mich ja geheiratet. Jeder war überzeugt, unsere Ehe würde nicht funktionieren, weil er so viel älter ist als ich und der Standesunterschied zu groß sei. Wir haben allen das Gegenteil bewiesen. Jetzt sind Roger und ich seit fünfunddreißig Jahren ein glückliches Paar und bedauern nur, daß uns nicht mehr dieselbe Zeit bleiben wird.“
Erleichtert, daß Marguerite die Neuigkeit so gut aufgenommen hatte, entschuldigte Sara sich und begab sich zum Umkleiden in die von ihr bewohnten Räume. Es war beruhigend zu hören, daß die von allen nicht für möglich gehaltene Ehe zwischen der Tante und dem Duke of Windermere so viele Jahre erfolgreich überdauert hatte. Vielleicht war ja auch ihr, Sara, und Mikahl dieses Glück beschieden.
Im Boudoir angekommen, läutete sie der Zofe und nahm vor dem Toilettentisch Platz. Doreen erschien nur einen Moment später, und ein Blick in den Spiegel zeigte Sara, daß die Zofe wie immer ein mißmutiges Gesicht machte. Die Augen hatten den üblichen unlustigen Ausdruck, und die mürrischen, verbittert wirkenden Falten um den Mund ließen Doreen bei weitem älter als dreißig aussehen.
Doreen Hoskins knickste widerstrebend und sagte mit vor Entrüstung bebender Stimme: „Mylady, heute morgen habe ich von der Dienerschaft erfahren, daß Sie diesen Ausländer zu heiraten gedenken. Ich weigere mich, das zu glauben! Sie sind doch mit Sir Charles Weldon verlobt, der wirklich ein echter Gentleman ist!“
Erbost drehte Sara sich um und erwiderte verärgert: „Ausnahmsweise stimmen die Gerüchte, die du gehört hast! Sir Charles und ich haben beschlossen, die Verlobung zu lösen. Ich werde die Gattin Prinz Balagrinis von Kafiristan.“
Doreen schnappte nach Luft und äußerte in abfälligem Ton: „Ich hätte nie gedacht, daß Sie sich so erniedrigen und einen widerwärtigen Heiden heiraten könnten!“
„Wie kannst du es wagen!“ Wütend sprang Sara auf. „Du bist fristlos entlassen, Hoskins! Das erspart dir die Schande, für jemanden wie mich tätig zu sein. Ich will niemanden in meinen Diensten haben, der
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