Liebe und Verrat - 2
ich sehe den Hauch von Trauer in seinen Augen.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Der Nebel hängt dick zwischen uns, selbst jetzt, wo wir das Wasser hinter uns gelassen haben. Vom Strand selbst ist kaum etwas zu erkennen; bloß das wiegende Gras auf den Hügeln kann ich ausmachen.
Ich schaue wieder zu Edmund. »Was sollen wir jetzt tun?«
Er blickt sich um, als ob die Antwort auf meine Frage in den dichten grauen Nebelschwaden zu suchen sei. »Ich nehme an, Sie müssen warten. Mir wurde aufgetragen, Sie bis zu diesem Strand zu begleiten und dann nach Altus zurückzukehren. Hier wird ein anderer Führer zu Ihnen stoßen.« Er schaut zu den Schwestern im Boot, die ihm ein Zeichen zu geben scheinen, das ich nicht wahrnehme. »Ich muss gehen.«
Ich nicke. Dimitri tritt vor und streckt die Hand aus. »Danke für Ihre Hilfe, Edmund. Wir sehen uns in London.«
Edmund schüttelt seine Hand. »Sie werden auf Miss Milthorpe aufpassen, nicht wahr?«
»Ich werde sie mit meinem Leben beschützen.«
Es gibt keinen Abschied. Edmund nickt nur, geht über den Strand und durch das seichte Wasser zurück zum Boot.
Die Traurigkeit, die sich um meine Schultern legt, ist mir mittlerweile vertraut. Sie ist wie eine alte Bekannte. Sekunden später werden Edmund und das Boot vom Nebel verschluckt.
29
Hast du eine Ahnung, wo wir sind?«, frage ich Dimitri.
Wir sitzen auf einer Sanddüne und starren in das graue Nichts. Dimitri schaut sich um, als ob er anhand der Dichte des Nebels unseren genauen Standpunkt bestimmen könnte.
»Ich glaube, wir sind irgendwo in Frankreich. Wenn wir aufs englische Festland zurückgekehrt wären, hätte die Bootsfahrt nicht so lange gedauert. Aber genau kann ich es nicht sagen.«
Ich denke über seine Worte nach und versuche mir gleichzeitig vorzustellen, wo in Frankreich die fehlenden Seiten des Buches verborgen sein könnten. Aber es hat keinen Zweck. Ich habe keine Ahnung und wende mich daher naheliegenden Problemen zu.
»Was machen wir, wenn der Führer nicht auftaucht?«
Ein weinerlicher Unterton hat sich in meine Stimme geschlichen. Ich bin müde, mir ist kalt und ich habe Hunger. Wir haben zwar Proviant mitgenommen, aber nicht viel, und weder Dimitri noch ich wollen ihn anbrechen, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Es ist klüger, unsere Nahrungsmittel aufzusparen; wer weiß, wann wir sie noch brauchen werden.
»Ich bin sicher, dass der Führer bald da sein wird«, lässt sich Dimitri vernehmen.
Obwohl er seine Worte im Brustton der Überzeugung spricht und mir damit durchaus Mut macht, bin ich nicht willens, sein blindes Vertrauen fraglos zu teilen. »Woher willst du das wissen?«
»Weil Lady Abigail sagte, dass der Führer uns hier treffen würde. Sie kann zwar den Ausgang unserer Reise nicht vorhersehen, aber sie würde uns nur erfahrene und loyale Männer für eine solch wichtige Aufgabe zur Seite stellen. Immerhin geht es um die Sicherheit ihrer Großnichte und der zukünftigen Herrin von Altus.«
»Ich habe noch nicht zugesagt«, erinnere ich ihn.
Er nickt. »Ich weiß.«
Ich überlege gerade, ob ich ihn wegen seines selbstgefälligen Tons zurechtweisen soll, als vor uns im Nebel ein gedämpftes Schnauben zu hören ist. Dimitri hat es auch vernommen und hebt seinen Kopf. In die Richtung schauend, aus der das Geräusch kam, hebt er warnend den Finger an die Lippen.
Ich nicke und lausche, spähe durch den Nebel, bis sich eine Gestalt aus den Schwaden zu schälen beginnt. Sie ist riesig, monströs und hat mehrere Köpfe. Das glaube ich wenigstens, bis die Gestalt den Nebel hinter sich lässt und ich erkenne, dass es sich um einen Reiter handelt, der zwei Pferde mit sich führt.
»Guten Morgen.« Seine Stimme ist kräftig und fröhlich. »Ich komme im Namen der Herrin von Altus. Möge sie in Freude und Frieden ruhen.«
Dimitri erhebt sich aus dem Sand und nähert sich dem Mann zögerlich. »Und wer bist du?«
»Gareth von Altus.«
»Von dir habe ich auf der Insel noch nie etwas gehört.« Ich kann das Misstrauen in Dimitris Stimme deutlich hören.
»Ich lebe seit vielen Jahren nicht mehr auf Altus«, erwidert der Mann. »Aber es bleibt meine Heimat. So ist das mit der Insel, nicht wahr? Im Übrigen sind wir, die wir der Schwesternschaft dienen, auf Diskretion angewiesen. Ich bin mir sicher, dass du das verstehst.«
Dimitri scheint über die Worte des anderen nachzudenken, ehe er nickt. Er bedeutet mir, zu ihm zu kommen. Ich rappele mich auf, neugierig, unseren Führer
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