Liebe und Verrat - 2
»Der Rat der Grigori nicht. Unter keinen Umständen. Die Brüder und Schwestern, nun … nicht wie du und Alice in Versuchung geführt werden könnt. Ihr seid Wächter und Tor, und deshalb seid ihr für die Macht der Seelen besonders empfänglich.«
»Ich spüre, dass du mir etwas verschweigst, Una.«
Sie wendet sich wieder von dem Schreibtisch ab und kommt mit einem Bündel auf dem Arm zu mir zurück. »Ich verschweige dir nichts, Lia, jedenfalls nicht absichtlich. Es ist nur nicht so einfach zu erklären. Weißt du, ein Bruder oder eine Schwester hat keine Macht, die Seelen in diese Welt zu lassen oder Samaels Schicksal zu beeinflussen. Aber die Seelen können die Brüder und Schwestern dazu bringen, in ihrem Sinne zu wirken – jene mit mehr Macht zu beeinflussen.«
Wie Sonia und Luisa.
»Ist so etwas schon jemals auf dieser Insel geschehen?«, frage ich.
Sie seufzt, und ich merke, dass es ihr Unbehagen bereitet, das Gespräch fortzusetzen. »Es gab … Vorfälle. Von Zeit zu Zeit wird jemand dabei ertappt, wie er den Lauf der Dinge zugunsten der Seelen beeinflussen will. Aber es geschieht nicht oft.« Die letzten Worte kommen hastig, als ob sie etwas verharmlosen wollte, von dem wir beide wissen, dass es alles andere als harmlos ist.
Genau wie ich dachte. Genau das habe ich befürchtet. Es gibt niemandem, dem ich vertrauen könnte. Nur mir selbst, und auch daran überkommen mich manchmal Zweifel, wenn ich das Drängen des Medaillons spüre. Ich knöpfe die Manschetten des Hemdes zu und bedecke mit dem Ärmel das schwarze Samtband und das verhasste Zeichen darunter.
Unas Blick gleitet wieder zu meinem Handgelenk. »Es tut mir leid, Lia.«
Ich fühle die dummen Tränen in meinen Augen brennen, und bemühe mich um Haltung, indem ich mich noch einmal in dem Gemach umschaue, das ich während meiner Zeit hier im Heiligtum mein Eigen nannte. Ich präge mir die einfachen Steinwände ein, die Wärme des abgewetzten Bodens, den würzigen und gleichzeitig süßen Duft. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder hierherkommen werde.
Ich will mich immer daran erinnern.
Schließlich wende ich mich Una zu. Sie lächelt und streckt mir das Bündel entgegen, das sie vom Schreibtisch genommen hat.
»Für mich?«
Sie nickt. »Ich möchte, dass es dich stets an uns und deine Zeit auf Altus erinnert.«
Ich nehme das Bündel aus ihren Armen. Es ist weich und leicht und ich schüttele es aus. Meine Kehle wird eng, als sich die lilafarbene Seide aufbläht. Es ist ein Reitumhang, gewebt aus dem gleichen Material wie die Festgewänder der Schwestern.
Una versteht mein gerührtes Schweigen offensichtlich falsch, denn sie beeilt sich zu sagen: »Ich weiß, dass du dir eigentlich nichts aus unseren Gewändern machst, aber ich dachte …« Sie schaut auf ihre Hände und seufzt. Dann blickt sie mir wieder in die Augen. »Ich wollte einfach, dass du etwas hast, was dich an uns erinnert, Lia. Ich habe deine Freundschaft schätzen gelernt.«
Ich beuge mich vor und umarme sie.
»Ich danke dir, Una. Für den Umhang und für deine Zuneigung. Ich weiß, dass wir uns wiedersehen werden.« Lächelnd betrachte ich sie. »Ich kann dir niemals genug danken für die Fürsorge, die du Tante Abigail in ihren letzten Tagen hast angedeihen lassen. Und dafür, wie du dich um mich gekümmert hast. Ich werde dich schrecklich vermissen.«
Ich nehme den Rucksack mit meinen Waffen und die Reisetasche und binde mir den Umhang um. Ich frage mich, wie ich es über mich bringen soll, ihn wieder abzulegen. Und dann muss ich – wie so oft – Abschied nehmen.
Nur die Fackeln entlang des Pfades erleuchten die Dunkelheit. Dimitri, Edmund und ich haben das Heiligtum hinter uns gelassen und sind auf dem Weg zum Hafen. Ich habe nur eine undeutliche Erinnerung an den Tag unserer Landung auf Altus, gefolgt von zwei Tagen, in denen ich bewusstlos im Bett lag und die gänzlich an mir vorbeigingen.
Auf dem Weg hinunter zum Meer spannen die Hosen an meinen Schenkeln und das Hemd zerkratzt mir die Haut an meinem Oberkörper. Bereits jetzt kommen mir Seidengewänder und nackte Haut auf weichen Laken unendlich weit weg vor.
Dimitri trägt einen ganz ähnlichen Umhang wie ich, aber seiner ist schwarz und kaum sichtbar in dem Nebel. Als ich ihn heute in den frühen, noch dunklen Morgenstunden traf, fiel sein Blick sofort auf den Kragen des Reiseumhangs um meinen Hals. »Lila steht dir immer noch.«
Ich erkenne unser Boot, als wir am Kai eintreffen, denn an jedem Ende
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