Liebe und Verrat - 2
der Grigori so sehr an meinen Nerven, dass ich fürchte, sie werden jeden Moment zerreißen.
Ein leises Klopfen an der Tür. Endlich. Ich haste durch den Raum und öffne sie. Dimitri steht davor. Ohne auf meine Aufforderung zu warten, tritt er ein.
Ich schweige, bis ich die Tür hinter ihm geschlossen habe. Dann halte ich es nicht mehr aus.
»Was haben sie gesagt?«
Er legt seine Hände auf meine Schultern, und einen Augenblick lang fürchte ich, dass sie abgelehnt haben. Ich fürchte, dass er sagen wird, eine Entscheidung müsse jetzt und hier fallen. Eine, an die ich mich auf ewig gebunden fühlen muss.
Glücklicherweise tut er das nicht.
»Sie haben zugestimmt, Lia.« Lächelnd schüttelt er den Kopf. »Ich kann es kaum glauben, aber sie gewähren uns beiden einen Aufschub. Es war nicht einfach, aber es ist mir gelungen, sie davon zu überzeugen, dass man dich nicht bestrafen darf, weil du dich an die Regeln der Prophezeiung hältst, und dass man mich nicht zur Rechenschaft ziehen kann, weil ich als dein Begleiter handelte, wie Lady Abigail es mir auftrug.«
Erleichterung wäscht meine Angst hinweg. »Also geben sie uns Zeit, bis wir die Seiten gefunden haben?«
»Noch besser«, sagt er.
»Noch besser?« Ich kann mir nicht vorstellen, was noch besser sein könnte.
Er nickt. »Sie schieben alles auf, bis die Prophezeiung beendet ist, vorausgesetzt, es ist immer noch dein Ziel, sie zu einem Ende zu bringen. Wenn du deine Meinung ändern solltest … wenn du dich entschließen würdest, deine Rolle als Tor zu erfüllen, wird Ursula Herrin über Altus.«
Ich schüttele den Kopf. »Das wird nicht passieren.«
» Ich weiß das, Lia.«
Ich wende mich von ihm ab und versuche, den raschen Sinneswandel der Grigori zu begreifen. »Warum lassen sie sich auf einen derartigen Handel ein, wenn es – wie du sagst – doch noch nie vorgekommen ist?«
Er seufzt. Seine Augen zucken in die Winkel des Raums, als ob sie einen Ausweg suchen.
»Sag’s mir, Dimitri.« Die Erschöpfung legt sich schwer auf meine Stimme.
Er reißt sich zusammen. Seine Augen suchen meinen Blick. »Sie denken, dass das Schicksal entscheiden wird. Wenn du die Prophezeiung beendest, kannst du deine Wahl treffen, wie es dein Recht ist. Wenn du versagst …«
»Wenn ich versage …«
»Wenn du versagst, dann entweder, weil du dich in deine Rolle als Tor ergeben hast, oder weil du die Prophezeiung nicht überlebt hast.«
28
Es ist noch dunkel, als Una mich am nächsten Morgen weckt.
Sie reicht mir ein Bündel zusammengelegter Kleider, und mein Herz wird schwer, denn ich erkenne meine Reithosen und das Hemd, das ich auf der Reise nach Altus trug. Alles ist frisch gewaschen. Aber ich habe mich so an das Seidengewand gewöhnt. Ich habe mich an so vieles gewöhnt, hier auf Altus.
Während ich mich wasche und ankleide, packt Una genug Proviant für Dimitri und mich in meine Reisetasche, dass wir damit den ersten Teil unserer Reise bestreiten können. Pfeil und Bogen und den Dolch habe ich bereits selbst eingepackt. Obwohl Dimitri zu meinem Schutz an meiner Seite ist, wird mir Sonias Verrat eine ewige Mahnung sein, mich nur auf mich selbst zu verlassen.
Mir fällt nichts ein, was ich sonst noch brauchen könnte.
Die Hitze des Schlangensteins auf meiner Haut ist mir Trost und Beruhigung. Der Stein gleitet unter mein Hemd, und als ich die Ärmel zurechtzupfe, fällt mein Blick auf das Medaillon an meinem Handgelenk. Ich habe überlegt, ob ich es in der Obhut der Grigori lassen soll oder der Schwestern, vielleicht sogar bei Una, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich irgendjemandem das Medaillon anvertrauen kann. Nicht nach dem, was mit Sonia geschehen ist.
Una folgt meinem Blick und schaut ebenfalls auf mein Handgelenk. »Alles in Ordnung, Lia?«
Ich nicke und knöpfe mein Hemd zu.
»Möchtest du …« Sie zögert kurz, ehe sie fortfährt. »Möchtest du das Medaillon hierlassen? Ich kann es für dich aufbewahren, Lia, wenn dir das eine Hilfe ist.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe und denke über ihr Angebot nach, obwohl ich diese Möglichkeit schon oft in Gedanken hin und her gewälzt habe. »Darf ich dich etwas fragen?«
»Natürlich.«
Ich stecke mein Hemd in den Hosenbund und wähle meine Worte sorgfältig. »Könnt ihr hier auf Altus – die Grigori, die Brüder, die Schwesternschaft –, könnt ihr von den Seelen in Versuchung geführt werden?«
Sie dreht sich um, geht zu dem kleinen Schreibtisch und nimmt etwas von der Tischplatte.
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