Liebe und Verrat - 2
über Sonia nach. Ich höre Gemurmel aus dem Zelt, aber ich unternehme keine Anstrengung, die Worte zu verstehen, die zwischen Edmund, Dimitri und Sonia gewechselt werden. Sie sind lediglich die Kulisse für meine eigenen, wirbelnden Gedanken.
Das Knirschen von Stiefeln auf hartem Boden kündigt Dimitri an, noch ehe er aus der Dunkelheit ans Feuer tritt. Ich wende mich zu ihm hin.
»Sie ist jetzt ruhig«, sagt er. Dann fragt er: »Geht es Ihnen gut?«
»Ja, danke.« Ich weiß nicht, wie ich ihm sagen soll, dass es mir ganz und gar nicht gut geht. Dass mich die Erkenntnis, dass die Seelen meine vertrauteste Freundin zu meiner ärgsten Feindin machen können, bis ins Innerste erschüttert. Dass ich nun keinen sicheren Aufbewahrungsort mehr für das Medaillon habe, bis wir die fehlenden Seiten finden.
Dimitri setzt sich neben mich, und Luisa, die auf meiner anderen Seite sitzt, beugt sich vor und schaut ihn an. »Wie geht es ihr, Mr Markov?«
»Bitte, nennen Sie mich Dimitri«, sagt er mit einer leichten Verbeugung.
Luisa schaut mich wie um Erlaubnis bittend an und ich lächle leicht.
»Also gut, Dimitri«, sagt sie schließlich. »Wie geht es Sonia?«
»Sie ist … verstört. Sie ist nicht sie selbst.«
»Was bedeutet das?«, will Luisa wissen. »Weiß sie, was sie getan hat? Kann sie sich daran erinnern?«
»Oh, sie erinnert sich sehr gut daran und ohne eine Spur von Bedauern. Sie geriet förmlich in Raserei, weil sie darauf bestand, dass Lia das Medaillon tragen müsse … Sie schrie, dass sie das Richtige getan hätte, indem sie das Medaillon um Lias Handgelenk band, während sie schlief. Wir haben versucht, sie zur Vernunft zu bringen, aber es scheint so, als ob die Seelen sie fest im Griff hätten.«
»Aber … das kann nicht sein«, widerspreche ich. »Sonia ist so stark.«
»Selbst die Stärksten unter uns würden mit aller Macht gegen die Seelen ankämpfen müssen.« Dimitris Augen sind mitfühlend. »Sie haben vermutlich gewusst, dass sie das Medaillon trägt, genauso wie sie wussten, dass Sonia Ihre Freundin und Vertraute war. Es sollte uns nicht überraschen, dass es so gekommen ist.«
Aber ich bin überrascht. Sonia war mir immer als die Stärkste von uns erschienen. Irgendwie besser, reiner als wir anderen, ihrer Fähigkeiten sicher. Ein Fels in der Brandung. Sie schien ihre Rolle in der Prophezeiung klaglos zu akzeptieren. Die Vorstellung, dass sie mit den Seelen gemeinsame Sache macht, ist fast ein Sakrileg. Aber diesen Gedanken spreche ich nicht aus, aus Angst, die anderen könnten mich für naiv halten.
»Also, was unternehmen wir jetzt?«, fragt Luisa, an Dimitri gewandt. »Wegen Sonia, meine ich. Und natürlich wegen Lia und dem Medaillon.«
»Wir müssen Sonia für den Rest der Reise von Lia fernhalten. Und wir müssen dafür sorgen, dass sie ruhig bleibt.«
»Wie sollen wir das schaffen? Sie wissen doch selbst, in welchem Zustand sie ist.« Ich erinnere mich nur zu gut an Sonias fiebriges Flehen, an ihr Kreischen, als Dimitri sie aus dem Zelt zog. Diese Aufgabe kommt mir fast unlösbar vor.
»Ich habe ihr Mistelblätter in den Tee gemischt. Das wird sie eine Weile ruhigstellen«, erklärt Dimitri.
Ich muss an etwas denken, das ich einmal während Vaters Unterricht in der Bibliothek von Birchwood gelesen habe. »Sind Misteln nicht giftig?«
Dimitri schüttelt den Kopf. »Nicht diese Sorte. Es ist eine uralte Pflanze, die beruhigend wirkt und nur in diesen Wäldern und auf der Insel Altus wächst. Hier gibt es mehr als genug davon, um zu verhindern, dass Sonia weitere Anfälle bekommt, bis wir zu den Schwestern kommen.«
Luisa nickt. »Gut. Was ist mit dem Medaillon? Nur weil Sonia es die ganze Zeit getragen hat, konnte Lia verhindern, dass sie es ungewollt anlegt.«
Dimitri senkt die Augen zu seinen Händen, und ich weiß, dass er nachdenkt. Er überlegt, wie er das Medaillon in unserer Nähe behalten und gleichzeitig dafür sorgen kann, dass ich vor seiner Anziehungskraft geschützt werde und nicht mit seiner Hilfe versehentlich das Tor für Samael öffne.
Eine Idee nimmt in meinem Geist Gestalt an. Eine Welle rastloser Energie durchströmt mich und ich stehe auf.
»Wie lange wird es dauern, bis wir die Insel erreichen?« Ich richte meine Frage an Dimitri, weil ich davon ausgehe, dass er sich in diesen Wäldern auskennt.
Er runzelt die Stirn. »Nun, genau lässt sich das nicht sagen. Das hängt davon ab, wie schnell wir vorwärtskommen.«
Luisa seufzt. Ich kenne sie gut
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