Liebe und Verrat - 2
genug, um zu wissen, dass Geduld noch nie zu ihren Tugenden gehörte. »Es reicht, wenn Sie eine Schätzung abgeben, Dimitri.«
Ich spüre einen Hauch von Verärgerung in seiner Haltung. Dann wendet er sich wieder mir zu. »Etwa drei Tage. Warum?«
Ich beantworte seine Frage nicht direkt. Stattdessen stelle ich selbst eine: »Wer hat das Medaillon im Augenblick?«
»Nun … ich«, sagt er.
»Darf ich?« Ich strecke die Hand aus, aber meine Frage ist eine reine Formalität. Wenn das Medaillon überhaupt irgendjemandem gehört, dann mir.
»Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist, Lia?« Ich höre die Angst in Luisas Stimme – ein Echo meiner eigenen Furcht. Aber es gibt keine andere Möglichkeit.
»Ich hätte gerne das Medaillon. Bitte.« Ich bilde mir ein, Bewunderung in Dimitris Augen zu sehen, aber vielleicht ist es auch bloß Resignation.
Wortlos greift er in seine Westentasche und zieht etwas daraus hervor. Der Atem verfängt sich in meiner Kehle, als ich das schwarze Samtband sehe, das in seiner Hand liegt. Ich habe es natürlich täglich an Sonias Handgelenk gesehen. Aber es ist ein Unterschied, ob jemand es trägt, dem ich bedingungslos vertraue – vertraut habe –, oder ob es gänzlich unbewacht ist. Mein Gefühl sagt mir, dass es, jeglicher Aufsicht entronnen, umso gefährlicher ist.
Dimitri reicht mir das Medaillon, und ich schließe die Augen, während sich meine Finger um das Samtband schließen. Das Band und das kalte Metall des Medaillons selbst sind mir so vertraut wie mein eigener Körper. Erkennen durchzuckt mich und eine Mischung aus Hass und entsetzlicher Gier erschüttert meinen Körper. Nur mit Mühe kann ich die Augen öffnen. Mich wieder in die Gegenwart bringen und meine Gedanken ordnen.
Und dabei liegt das Medaillon noch nicht einmal auf dem Mal auf meinem Handgelenk.
Aber es hat keinen Zweck, über etwas nachzugrübeln, was sich nicht ändern lässt. Was getan werden muss, wie schmerzvoll und furchterregend – wie unmöglich – es auch erscheinen mag.
Ich schlinge das Band um mein rechtes Handgelenk und befestige die goldene Schließe. Das Mal befindet sich an meinem anderen Handgelenk, aber mir ist klar, dass das keine Garantie für meine Sicherheit ist. Das Medaillon hat schon öfters aus eigenem Antrieb – und unter ganz anderen Bedingungen – den Weg zu dem Mal auf meiner Haut gefunden.
Luisas Stimme zittert. »Aber … Lia, du kannst das Medaillon nicht tragen. Du weißt doch, was dann passieren kann.«
»Ich weiß es besser als irgendjemand sonst. Aber es gibt keine andere Möglichkeit.«
»Vielleicht könntest du es Edmund geben oder … Dimitri. Irgendwer kann es tragen, nur nicht du …«
Ich nehme ihr ihre Worte nicht übel. Ich weiß, dass sie mich lediglich beschützen will, weil ihr bewusst ist, dass ich diejenige bin, die am leichtesten den Verlockungen des Medaillons erliegt. Dafür sorgt schon meine verfluchte Rolle als Tor.
»Nein, Luisa. Ich hatte Glück, dass Sonia bisher darauf aufgepasst hat, aber ich kann mich nicht ewig vor meiner Verantwortung drücken.«
»Ja, aber …« Sie schaut von mir zu Dimitri und wieder zu mir. »Dimitri?«
Er betrachtet mich aufmerksam. Ich weiß nicht, was er sieht, warum er in mich hineinstarrt, bis ich das Gefühl habe, dass all meine Geheimnisse, ja selbst meine Seele, vor ihm bloßliegen. Aber was immer er sieht, bekräftigt wohl seine Entscheidung.
»Lia hat recht«, sagt er. »Ihr obliegt es, über das Medaillon zu wachen. Es gehört ihr.«
Er spricht gelassen, und in diesem Moment fühle ich, wie sich tief in mir etwas regt, das weit über jede körperliche Anziehung hinausgeht. Und er spürt es auch; ich sehe es in seinen Augen. Es ist mehr als alles, was ich bisher empfunden habe. Es ist etwas Erhabenes, das an jenem ersten Abend in den Räumen der Society seinen Anfang nahm.
Luisas Wangen röten sich vor lauter Aufregung. »Aber wie willst du es drei Tage und drei Nächte lang daran hindern, von einem Handgelenk zum anderen zu wandern?«
Ich reiße meinen Blick von Dimitri los und wende mich Luisa zu. »Ich habe bisher immer nur dann die Kontrolle verloren, wenn ich schlief.«
Sie schaut mich an, als ob ich den Verstand verloren hätte. »Ja und?«
Ich zucke mit den Schultern. »Dann werde ich eben nicht schlafen.«
»Was meinst du damit: Du wirst nicht schlafen?«
»Genau das, was ich gesagt habe. In drei Tagen sind wir in Altus. Ich werde wach bleiben, bis wir dort ankommen. Und ich bin mir
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