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Liebe und Verrat - 2

Liebe und Verrat - 2

Titel: Liebe und Verrat - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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das zu nehmen, was sie vorgeben zu sein.
    »Die Prophezeiung hat mich gelehrt, dass manche Dinge getan werden müssen, selbst wenn man ihnen lieber aus dem Weg gehen würde.«
    Sie hebt die Augenbrauen. »Möchtest du das? Ihnen aus dem Weg gehen?«
    Ich schaue auf meine Hände, die in meinem Schoß liegen. »Jeder würde wohl lieber die Dinge vermeiden, die ich im vergangenen Jahr durchmachen musste.«
    Ursula neigt den Kopf und scheint eine Weile nachzudenken. Dann fragt sie unvermittelt: »Und was ist mit deiner Schwester Alice? Was möchte sie vermeiden?«
    Mein Kopf ruckt hoch bei der überraschenden Erwähnung meiner Schwester, als ob Alice’ Name ihre körperliche Erscheinung heraufbeschwören könnte. Ich frage mich, warum Ursula sich für meine Schwester interessiert, wo es doch allgemein bekannt ist, dass sich Alice den Grigori und ihren Regeln widersetzt.
    Ich bemühe mich um eine ruhige Stimme. »Meine Schwester verweigert sich ihrer Rolle als Wächter. In deiner großen Weisheit und aufgrund deines umfassenden Kenntnisstandes ist dir diese Tatsache wohl nicht entgangen.« Ich neige den Kopf und hoffe, dass die Geste als Zeichen von Respekt gedeutet wird, während ich meine wachsende Gereiztheit nur schwer verhehlen kann.
    Ich schaue nicht hoch, aber ich fühle, wie ihr Blick hart wird. Sie antwortet, weil sie muss, weil noch länger andauerndes Schweigen sie schwach aussehen ließe. Das Zugeständnis auf ihrer Seite schenkt mir ein bizarres Siegesgefühl. » Worüber ich mir klar bin, ist, dass die Zukunft von Altus, die Zukunft der gesamten Welt, auf dem Spiel steht. Du erkennst doch sicher, dass deine Rolle ein Privileg ist, nicht wahr? Besonders, wenn man deine rechtmäßige Rolle in der Prophezeiung bedenkt.«
    Ich höre die Drohung in Ursulas sanfter, beiläufiger Stimme. Man könnte sie für die einer Katze halten, aber ich lasse mich nicht täuschen: Es ist das Grollen einer Löwin. Die handelnden Personen in den Wirren der Prophezeiungen und ihre Eigenarten sind für mich jedoch noch neu, und ich werde mich hüten, jemanden vor den Kopf zu stoßen – sei es nun Freund oder Feind.
    Ich schaue auf und erwidere Ursulas Blick, während aller Augen auf mir liegen. »Privilegiert ist der, dem das Glück hold und das Schicksal gewogen ist.« Ich schweige kurz, dann fahre ich fort: »Was habe ich zu gewinnen im Vergleich zu allem, was ich verloren habe? Eine Schwester, einen Bruder, eine Mutter, einen Vater …« Ich denke an James und unsere verlorene Zukunft, und die Trauer übermannt mich, trotz meiner Gefühle für Dimitri. »Ich bitte um Verzeihung, aber für mich war die Prophezeiung bislang eher eine Last als ein Privileg, was nicht bedeutet, dass ich sie nicht achte.«
    Möglicherweise bilde ich es mir nur ein, aber es kommt mir so vor, als wäre es im Speisesaal deutlich leiser geworden, als ob alle mit einem Ohr unserem Gespräch folgen würden.
    Ursula trommelt mit den Fingern auf die dicke hölzerne Tischplatte, während sie über ihren nächsten Zug nachdenkt. Sie reckt das Kinn hoch. »Vielleicht solltest du es dann anderen überlassen, die besser geeignet sind und bereit, diese Last zu tragen.«
    Ich versuche, die Bedeutung ihrer Worte zu ergründen. »Ich habe ja wohl keine Wahl, nicht wahr? Jedenfalls keine Wahl, über die es sich nachzudenken lohnt. Ich würde niemals zulassen, dass Samael mich als Tor missbraucht.«
    »Gewiss«, murmelt sie. »Aber du vergisst, dass du noch eine andere Möglichkeit hast.«
    Ich schüttele den Kopf. »Und was wäre das?«
    »Nichts tun. Lass die Verantwortung auf eine andere Schwester übergehen.«
    Ich schaue mich am Tisch um. Alle rutschen nervös auf ihren Plätzen herum und haben die Augen niedergeschlagen, als ob sie den Anblick von etwas Widerwärtigem vermeiden wollten. Alle außer Dimitri und Luisa. Luisa sieht so verwirrt aus, wie ich mich fühle. Sie fängt meinen Blick ein und ich sehe die Frage in ihren Augen. Eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Dimitris Augen dagegen durchbohren Ursula wie spitze Dolche.
    Ich wende mich wieder zu ihr. »Es könnte Generationen dauern, bis ein neuer Engel des Chaos geboren wird.«
    Sie nickt langsam und wedelt herablassend mit der Hand. »Oder nur wenige Jahre. Niemand kennt den Lauf der Prophezeiung.«
    Einen Augenblick lang glaube ich, ich müsste verrückt werden. Verlangt etwa eine Schwester der Prophezeiung, noch dazu eine der Ältesten, ich solle nichts tun? Schlägt sie vor, meine Pflicht an

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