Liebe und Verrat - 2
weiß, dass meine Worte Eindruck auf sie gemacht haben, denn sie kaut auf ihrer Unterlippe und ein nachdenklicher Ausdruck verdrängt ihre missmutige Miene. »Wirklich, Luisa. Meiner Meinung nach ist dieses Seidengewand sehr exotisch. Sehr … sinnlich.«
Sie denkt noch kurz darüber nach und steht dann schnaufend auf. »Also schön! Ich werde dieses vermaledeite Gewand tragen. Außerdem habe ich ja wohl keine andere Wahl, wenn ich nicht nackt zum Essen erscheinen will.«
»Das stimmt.« Ich hake mich bei ihr unter und gemeinsam gehen wir zur Tür. »Aber wer weiß? Vielleicht würde das Rhys sogar noch besser gefallen.«
Mit offenem Mund dreht sich Luisa zu mir um. »Lia! Dein Benehmen ist einfach skandalös!«
Da hat sie vermutlich recht. Auf dem Weg in den Speisesaal denke ich über Dimitris Worte im Orangenhain nach und überlege, ob ich tatsächlich die Wahl zwischen seiner und meiner Welt habe. Vielleicht werde ich nicht in der Lage sein, zu dem Menschen zurückzukehren, der ich war, und in das Leben, das ich früher einmal gelebt habe.
Henrys Worte fallen mir ein, die er vor so langer Zeit ausgesprochen hat. Sie sind heute noch so wahr wie damals.
Die Zeit wird es weisen.
23
Bei unserem Eintritt senkt sich Schweigen über den Speisesaal. Ich versuche, meine Nervosität zu unterdrücken und die Stille zu ignorieren, während ich mit Luisa durch den Raum gehe.
In dem riesigen, höhlenartigen Saal drängen sich in lilafarbene Gewänder gekleidete Frauen und gut aussehende Männer, von Kopf bis Fuß in Schwarz gewandet. Der massive Leuchter an der Decke, bestückt mit tausend Kerzen, wirft einen warmen Schimmer über die Mitte des Saals. Ich staune, dass es gelungen ist, die Kerzen so hoch oben anzubringen, denn der Kerzenleuchter hängt an einer schweren Kette, die so weit in die Höhe reicht, dass ich ihr Ende nicht sehen kann.
»Was machen wir jetzt?«, fragt Luisa flüsternd.
»Ich weiß nicht. Vermutlich sollten wir Dimitri oder Una suchen.«
»Oder Rhys«, sagt sie.
Ich verdrehe die Augen. »Ja. Oder Rhys.«
Ich trete weiter in den Saal hinein, mit hoch erhobenem Kopf und einem Lächeln auf dem Gesicht, das breit genug ist, um freundlich zu wirken, aber nicht so breit, um mir den Anschein einer Verrückten zu geben.
In solchen Momenten vermisse ich Sonia am meisten. Schon so oft habe ich die Schultern gestrafft und ein tapferes Lächeln aufgesetzt, während ich mich innerlich zu einem Häufchen Elend zusammenkrümmte. Durch ihre Unterstützung und durch ihre Freundschaft habe ich an Stärke gewonnen, und im Augenblick wird mir ihr Verlust so deutlich bewusst, als ob sie mich gerade eben erst an die Seelen verraten hätte.
»Gott sei Dank«, flüstert Luisa. »Da ist Dimitri.«
Ich folge ihrem Blick und sehe ihn auf uns zukommen. Sein Lächeln ist vertraulich und nur für mich bestimmt. Er bleibt vor uns stehen und nimmt meine Hände.
»Da bist du ja«, sagt er, als ob er seit Ewigkeiten nach mir gesucht hätte, nur um mich an einem gänzlich unerwarteten Ort vorzufinden.
Er hat seine gewöhnlichen Hosen gegen enger anliegende schwarze Beinkleider eingetauscht und seine weiße Tunika, die er tagsüber trug, gegen eine schwarze. Das Schwarz lässt ihn gefährlich aussehen, und im Schimmer der unzähligen Kerzen, die überall im Raum verteilt sind, ist er so schön und aufregend wie nie zuvor.
Er beugt sich vor, und ich denke, er will meine Wange küssen, doch stattdessen berühren seine Lippen meinen Mund. Der Kuss ist weder hastig noch unziemlich lang. Ich schaue mich verstohlen um und bemerke, dass diejenigen, die seine Begrüßung bemerkt haben, entweder verdrossen oder überrascht dreinschauen. Da wird mir klar, dass Dimitri seine Gefühle für mich öffentlich erklärt hat. Er hat für jedermann sichtbar zum Ausdruck gebracht, dass er mit mir zusammen ist, egal, was die anderen sagen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber wegen dieser Geste neigt sich mein Herz ihm noch mehr entgegen.
»Hallo«, sage ich. Meine Stimme ist nicht so forsch, wie ich es mir gewünscht hätte, aber die Atmosphäre im Saal und Dimitris offene Haltung machen mich unsicher.
Er grinst, und jetzt sieht er wieder aus wie der Dimitri, den ich mittlerweile so gut kenne. »Ebenfalls hallo.«
Und jetzt ist mein Lächeln echt. Wenn ich mit ihm zusammen bin, spielt es für mich keine Rolle mehr, was der Rest der Welt denkt.
Mit einem Arm hakt er sich bei mir unter und mit dem anderen bei Luisa. Dann
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