Liebe und Völkermord
denn etwa eine Alternative gehabt? Den Pascha durfte er nicht verärgern. Und, nun ja, seine Frau war schon eine ganze Weile tot und es sei kein Ehebruch, dachte er. Und in gewisser Weise gehörte es zu der Erfüllung seiner Pflicht, das Angebot des Paschas anzunehmen.
Nun saß er hier in diesem Zimmer auf dem Bett mit diesem Mädchen zusammen. Sie brach zuerst das Schweigen und erzählte ihm, sie käme ursprünglich aus dem aramäischen Dorf Msisah. Da ihre Eltern gewisse Schulden nicht begleichen konnten, hatten sie sie für jeweils eine Nacht lang an Männer verkauft. Irgendwann floh sie und sei schließlich im Harem des Ali Pascha gelandet. Hier fühle sie sich wohler als in ihrem Elternhaus, betonte sie vor dem Preußen.
Der Preuße war gelangweilt. Er schaute müde drein wie ein Löwe nach der Jagd. Orientalische Frauen konnten keinen Reiz bei ihm bewirken. Sie waren ihm zu dunkelhäutig und ihr Haar war nicht so schön golden wie das der deutschen Frauen.
Nichtsdestotrotz, dieses junge Geschöpf gefiel ihm. Fast schon hatte er seine kleine selige Tochter in ihr wiedererkannt.
Nach einer Weile wollte sie schließlich zu ihrem Geschäft kommen. Sie setzte sich neben ihn hin. Sie legte ihre rechte Hand auf seinen linken Oberschenkel. Er wandte sein Gesicht von ihr ab, stieß sie aber nicht von sich. Ihre Hand bewegte sich weiter aufwärts.
Er räusperte sich und stand auf.
„Es tut mir leid, wenn ich Euch gekränkt haben sollte.“
Er starrte die Wand an und rührte sich nicht.
„Gefalle ich Euch nicht?“
Sein Körper löste sich und er wurde gelassen. Er stellte sich genau vor sie hin und schaute ihr in die Augen. „Nein, das ist es nicht. Ich hatte noch nie eine Frau aus dem Osten.“
Was der Generalmajor für nie möglich gehalten hatte, wurde dann doch Realität. Seine Strenge löste sich in Bequemlichkeit und Gelassenheit auf. Die junge Aramäerin nahm all ihren Mut zusammen und verwöhnte den alten Herren. Er stellte sich dabei vor, sie sei seine selige Ehefrau. Er fühlte sich wieder jung und geborgen. Ja, sie war seine Ehefrau, sie war seine Marie. Er nahm sie in seine Arme, inbrünstig wie einst. Er forderte sie. Fatima, das war der ihr von dem Pascha neu verliehene Name, fing die harten Stöße seiner Liebe mit Leichtigkeit mit ihrem Schoß auf. Sie führte ihn durch den Gang in ihr Inneres. Mit ihm wurde sie eins.
Sie hielt ihre Augen geschlossen. Sie wünschte sich ein rasches Ende dieser Tortur, wenngleich sie sie genoss.
Der alte Deutsche war erschöpft, so erschöpft wie seit Langem nicht mehr. Er lag auf dem Rücken neben ihr und schlief ein. Es kam jedoch kein Ton mehr aus ihm heraus. Für einige Momente lang hielt die Aramäerin ihn für tot. Ein schlimmeres Schicksal hätte sie sich nicht mehr erdenken können. Sie hätten sie für schuldig erklärt und zum Tode verurteilt. Doch, dann, zu ihrem Glück, öffneten sich seine Augen. Er schnaubte.
Zum ersten Mal nach so vielen Jahren wachte Generalmajor Heinz Rüdiger Sturm mit einem Lächeln im Gesicht auf.
Sie lächelte aus Erleichterung und Zufriedenheit.
Sie erhob sich und griff nach ihrem Kleid. Er fasste sie an der Hand. Merkwürdigerweise war er nun so sanftmütig zu ihr.
„Bleib bei mir. Ich bitte dich darum.“
Sie legte sich neben ihn hin. Wie glücklich sie war. Sie hatte gute Arbeit geleistet. Der Pascha würde sie dafür loben und reich entlohnen.
„Behandelt dich der Pascha gut?“
„ Ja, mein Herr. Warum fragt Ihr mich das?“
„ Bist du wirklich zufrieden hier oder wünschst du dir, einmal von hier wegzukommen?“
Sie begriff nicht, worauf der preußische Offizier hinaus wollte.
„Ich werde dich aus dem Harem des Paschas befreien.“
Hier in seinem großzügigen Zimmer in ihrer Pension war er zufrieden. In ganz Dijabakir gab es kein gepflegteres Zimmer. Sein Chef, der Generalmajor, hatte das beste Zimmer, aber er war eben der Oberoffizier. Eines Tages würde er, Johann Lieb, seinen Platz einnehmen.
Lieb war ein harmloser junger Mann. Seine Eltern hatten ihn zur Reichswehr geschickt, um ihn loszuwerden. Sie hofften, er würde im Krieg umkommen oder irgendwo in der Ferne eine neue Heimat finden und für den Rest seines Lebens dort verweilen. Seine Eltern waren genau das Gegenstück seines zarten Charakters.
Er kam aus Breslau in Schlesien. So er doch in sich die preußischen Tugenden von Disziplin, Pflichtbewusstsein, und Loyalität zum Vaterland vereinte, hasste er den Umgang mit Waffen,
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