Liebe und Völkermord
hätte es mit seinen eigenen Augen gesehen.“
„ Ach, der kleinen Madschida macht es Spaß, solche Geschichten zu erzählen. Sie will doch nur Gesprächsstoff.“
Sie atmete immer noch schwer. Er konnte sogar Schweißperlen auf ihrer Stirn sehen. Er stand auf und nahm sie in seine Arme. Er streichelte ihren Rücken. „Du darfst es niemand erzählen.“
„Aber wir müssen sie warnen!“
„ Nein, denn es würde nur Panik ausbrechen. Die Osmanen werden nicht in dieses Gebiet kommen. Vertrau mir. Und wenn sie doch kommen, hat unser Dorf aufgrund seiner guten Lage genug Zeit, ihr Kommen zu sehen, und genug Zeit, um sich auf die Verteidigung vorzubereiten. Versprich mir, dass du es niemand erzählen wirst.“
Sie hatte jedes einzelne Wort ihres Bruders aufmerksam in sich aufgenommen. Sie beruhigte sich, obgleich es ihr schon merkwürdig vorkam, da ihr Bruder soeben noch den Wahrheitsgehalt über die Vernichtung der Christen abgestritten hatte.
Sie nickte.
Irgendwem musste er es erzählen. Doch konnte er niemand vertrauen. Sie würden ihn doch verraten und die Geschichte würde sich im Nu über den ganzen Tur Abdin verbreiten.
So hatte er beschlossen, zu Abuna Isa zu gehen. Zur Beichte. Obwohl er diesen Priester nie gemocht hatte und dies offen zeigte, zeigte er nun aufrichtige Reue. Kurz davor hatte er ernsthaft in Erwägung gezogen, zu den Mönchen des Klosters d'Ghsale zu gehen, und dort mit einem der Mönche zu reden, doch jene Mönche umgab irgendwie eine zu unheimliche Aura für ihn.
So sehr der Abuna sich sichtlich über den Charakterwandel des jungen Sünders freute, so erschrak er sogleich wegen dem, was er da aus dem Mund von eben jenem hörte.
Erst war er zaghaft und erzählte zu viel über seinen Aufenthalt in Mardin, bis der Abuna ihn aufforderte, endlich zum Schluss zu kommen. Barsaumos Hände zitterten. Sie schwitzten. Noch nie zuvor hatte er schwitzende Hände gehabt. Bis dahin war ihm der Abuna gleichgültig gewesen und nie hatte er sich vor irgendwelchen Reaktionen von seiner Seite gefürchtet. Doch jetzt fürchtete er sich. Seine Zähne klapperten sogar deutlich hörbar.
Sie standen gegenüber voneinander in der linken hinteren Ecke der Kirche. Die Sünder beichteten dem Priester von Angesicht zu Angesicht. Man konnte annehmen, viele Menschen würden sich auf diese Weise davor scheuen, das wahre Ausmaß ihrer Sünden beichten zu können. Doch dem war nicht so.
Abuna Isa war so geschockt, er lehnte sich an die Wand an, sonst wäre er umgekippt. Barsaumo war tief versunken in seinen Gedanken. Er war verzweifelt. Was würde seine Tat für Folgen nach sich ziehen? Und nun fragte er sich, ob er dem Pfarrer überhaupt trauen konnte. Er schaute ihn streng an. „Sie werden mich den Kurden ausliefern, wenn sie es erfahren. Ich bin dann ein toter Mann. Ich bin auch ein Kind ihrer Kirche, Vater.“
Der Abuna versuchte, wieder klar zu denken. Er richtete sich wieder auf und stand nun aufrecht. „Nein, nein, niemand darf es erfahren. Es war nur ein Unfall. Du hattest nicht die Absicht, sie zu töten. Die Kurden werden natürlich das Gegenteilige behaupten. Von daher würde deine Auslieferung keinen Sinn machen. Ja, du hast recht, wenn das Dorf von der Geschichte erfährt, würden sie wohl überstürzt handeln. Nein, mein Sohn, erzähle es niemand. Gut, dass du zu mir gekommen bist.“
„ Abuna, ich habe viele Sünden begangen.“
Dieser Charakterwandel des Jungen beeindruckte den Abuna wirklich. Er fühlte sich in seiner Überzeugung bestätigt, Jeder könne sich von Grund auf ändern.
Doch was er nun für Sünden hörte, hatte er nur selten zu hören bekommen.
Schließlich kamen sie wieder auf seinen Totschlag der schönen Aische zurück. Barsaumo entschuldigte sich dafür beim Abuna. Er fragte ihn, was nun geschehen würde. Der Abuna schaute zum Altar. Er schwieg eine Weile lang. „Es war von Anfang an nicht zu vermeiden. Ich habe es in meinem Traum gesehen. Sie werden kommen.“
Während Abuna Isa den fremden Ankömmling ungläubig betrachtete, unterhielt sich Matthias mit ihm auf Englisch.
„Der Heilige Vater ist um alle Christen besorgt. Durch unser Einschreiten konnten wir einigen das Leben retten. Wenngleich es leider nicht viele waren.“
Der katholische Bischof aus Genua war ein fettleibiger Mann. Geboren und aufgewachsen in seiner Heimatstadt Genua träumte er schon in Kindesjahren davon, eines Tages Papst zu werden. Er war nun schon 58 Jahre alt geworden und immer noch
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