Liebe und Völkermord
dort im Dorf. Er hatte sie von ihm weggezerrt. Ihr Bruder hatte also Einwende gegen ihre Beziehung. Die Roma hatte also recht. Er verfiel augenblicklich in eine depressive Gemütsverfassung. „Sie mag mich auch. Sie hat es mehrmals gesagt.“
„Mögen heißt nicht gleich lieben.“
Er wollte sie jetzt sofort sehen. Sie lebte in Kafro, einem Dorf viele Fußstunden von hier aus entfernt. Nur Gott wusste, was sie dort den ganzen Tag lang trieb. Nun sah er sich selbst wieder. Wer war er denn schon? Es gab so viele andere Männer, groß, gutaussehend, muskulös, sie alle würden um ihre Gunst buhlen. Er konnte sie nicht kontrollieren. Wenn sie ihn wirklich lieben würde, würde sie ihm treu bleiben, dessen war er sich sicher. „Ich liebe dich“, sagte er zu ihr und schaute sie traurig an. Sie schaute verwundert zu ihm auf. „Du liebst doch Meridschan und nicht mich!“
„Ich glaube, ich liebe dich.“
„ Was heißt, du glaubst, du liebst mich.“
„ Ich bin mir nicht im Klaren über meine Gefühle.“
Er liebte beide Frauen. Welche er nun mehr liebte, konnte er beim besten Willen nicht sagen. Beide waren sie sehr verschieden und auf ihre eigene Weise attraktiv. Meridschan war mehr extrovertiert, was Matthias besonders an ihr mochte. Sie sprach es direkt aus, wenn etwas ihr nicht gefiel. Soraja hingegen schien verschlossen zu sein und keinen eigenen Willen zu besitzen.
„Ich weiß es nicht genau. Es tut mir leid.“
Sie war in sich hin und her gerissen. Viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Er war womöglich doch nicht der richtige Mann. Sie dachte nach, ob es denn nicht irgendeinen anderen geben könnte. Sicherlich würde sie irgendwann einen netten Mann kennenlernen. Und dann war da dieser Schahin, der Neffe des Onkels ihres Vaters. Dieser Schahin sah gut aus, war stämmig und hatte schöne große braune Augen. Doch mochte sie seine Art nicht. Einmal hatte sie ihn dabei erwischt, wie er einem kurdischen Mädchen aufgelauert war. Er meinte zu seiner Verteidigung, sie sei eine Diebin gewesen und er wollte nur sicher sein, sie habe nicht irgendetwas aus ihrer Karawane gestohlen.
Matthias fiel ihre geistige Abwesenheit auf. Er versuchte, gelassener zu werden. Er lächelte sie an. Sie schaute immer noch nachdenklich aus. „Dann kannst du es mir noch einmal sagen, wenn du dir ganz sicher bist.“
„ Das werde ich machen.“
Plötzlich hörten sie einen ohrenbetäubenden Donnerschlag. Doch es schien die Sonne. Der Lärm wurde unerträglich, sie hielten sich mit ihren Händen ihre Ohren zu. Matthias sprang auf und lief zum Ausgang der Höhle. Er sah nach Osten, doch da war nichts. Dann schaute er nach Westen, zur Südseite des Dorfes. Dort sah er eine große graue Wolke, genau über Badibe. Wie eine Sichel geformt hing sie über dem Dorf. Nun erkannte er es, es waren Schüsse. Sehr viele Schüsse. Es muss eine Armee gewesen sein. Seine Augen wurden vor Schrecken immer größer.
Soraja stand nun neben ihm. „Was ist geschehen? Da ist Feuer. Ich glaube, das Dorf brennt.“
„ Es ist ein Krieg ausgebrochen. Sie wollen mein Dorf vernichten. Ich muss ins Dorf!“
Er rannte die Anhöhe herunter. Das Zigeunermädchen schaute ihm verzweifelt nach. Wohin sollte sie gehen? Zu ihrem Vater? Nein, zu sehr dachte sie jetzt an Matthias. Sie wollte ihm beistehen.
Also rannte sie ihm nach.
Imam Musa Ibrahim
„ Du bist wirklich nur eine dumme Ziege! Warum hast du das gemacht? Ich musste so viel Prügel von meinem Vater einstecken, wie noch nie zuvor in meinem ganzen Leben. Und das alles nur wegen dir!“, schrie Johannes sie an. In seinem Gesicht und an seinen Armen waren immer noch die roten Flecken zu sehen. Murad hatte sich an jenem Tag noch nie so sehr geschämt. Er geriet so sehr in Rage. Hatte er doch seinem Sohn befohlen, niemand von der Angelegenheit zu erzählen. Für diesen Verrat musste er seinen Sohn auf diese grausame Weise bestrafen. Denn eine andere wirksame Strafmethode kannte er nicht.
„ Lass sie in Ruhe! Sie hat doch recht. Es ist alles deine Schuld. Ich hatte dir doch gesagt, tu es nicht! Und du, du machst es einfach“, erwiderte ihm der schreiende Aziz.
Magdalena saß ruhig auf dem sandigen Boden. Ihre Augen wanderten von Aziz zu Johannes und von Johannes wieder zurück zu Aziz. Dann lachte sie. Johannes starrte sie
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