Liebe und Völkermord
einmal, wohin sie ihn geführt hatte. Als wären irgendwelche Häscher hinter ihnen her gewesen, so schnell hatte sich die junge kurdische Schönheit bewegt. Mit ihrer linken Hand drückte sie gegen die Tür und knallte sie zu. Sie waren nun allein in diesem kleinen Zwei-Zimmer-Haus. Es maß nicht einmal 40 Quadratmeter. Links vor ihm lagen halb verrostete Töpfe, abgenutzte Holzteller und Becher und auf einem Holzbrett einige Kräuter. Das Zimmer nebenan war großflächiger, dort lagen jeweils in der anderen Ecke des Raumes zwei Matratzen. Nun wurde ihm klar, hier lebte wohl Meridschan mit ihrem älteren Bruder.
Sie drehte sich zu ihm um und schaute ihn schockiert an. Sie schwieg. Dann hielt sie den Zeigefinger ihrer rechten Hand vor ihrem Mund, um ihm anzuzeigen, keinen Lauten von sich zu geben. Draußen wütete immer noch die mordende Muslim-Armee. Kindergeschrei, Frauenweinen und Schreie von verreckenden Männern waren deutlich zu hören. Das sich draußen ereignende Grauen war so schrecklich, sie wollten es nicht mit eigenen Augen sehen.
Matthias ließ sich zu Boden fallen. Sein Rücken war an die Wand gegenüber der Haustür gelehnt. Er legte die Innenflächen seiner Hände auf seine Ohren und drückte gegen sie. Diese fürchterlichen Geräusche wollte er nicht hören. Meridschan tat es ihm gleich. Sie setzte sich ebenfalls auf den Boden, ihr Rücken an die Tür gelehnt. Sie vergrub ihr Gesicht zwischen ihre Knie. Er beobachtete sie, sie weinte.
Er schlich sich krabbelnd auf seinen Knien zu ihr. Er strich mit seiner rechten Hand die rechte Hälfte ihrer Haare. Sie weinte weiter. Nach einer Weile schaute sie auf, strich ihrerseits Matthias' Haare und führte sein Haupt auf ihren Schoß. Sie strich weiter seine Haare. Er wiegte seinen Kopf in ihren Schoß. Wie grotesk und paradox doch diese Situation war, er genoss diesen Moment bei seiner Verehrten. Hier bei ihr wollte er nun bleiben und nie wieder fortgehen. Doch was war mit der Zukunft? Viele Fragen gingen ihm durch den Kopf. Er war doch kein Muslim und er hatte nicht vor, zum Islam zu konvertieren. Ewig würde er sich bei Meridschan nicht verstecken können. Seine Augen waren im Moment des Glücks der Liebe geschlossen, doch nun im Schrecken des Momentes der Realität öffnete er sie wieder. Dieses Glück würde nicht ewig währen, dessen war er sich nun bewusster denn je. Es deprimierte ihn.
Sie verharrten stundenlang in dieser Position. Kein einziges Wort sprachen sie zueinander. Er war in Schweiß gebadet und ihre Augen waren rot wegen der vielen vergossenen Tränen. Nach einer Stunde schloss sie ihre Augen, sie schlief ein, obwohl sie sich dagegen wehrte. Sie war zu erschöpft. Auch er schloss seine Augen, aber er konnte nicht schlafen. Er war übermüdet und am Ende seiner Kräfte, aber er konnte angesichts dessen, was er erlebt und gesehen hatte, nicht einschlafen.
Nach zwei Stunden wurde es ruhig draußen. Es musste alles vorbei sein. Er sprang sogleich auf und schritt zum Fenster, doch es war zu hoch für ihn. Er schritt auf seinen Fußspitzen voran, denn er wollte Meridschan nicht wecken. Im Schlafraum hatte er ein niedriger gelegenes Fenster gesehen. Meridschan schlief immer noch. Weder rührte sie sich, noch konnte man ihren Atem hören.
Er lugte aus dem Fenster. Es lag auf der südlichen Seite des Hauses und war also gen Norden gerichtet. Viel konnte er nicht sehen. Da waren jedenfalls keine Menschen auf dem Gehweg zu sehen. Aber vielleicht hielten sich immer noch einige türkische Soldaten im Dorf auf. Deprimiert setzte er sich auf den Boden hin.
Nach einigen Augenblicken öffnete Meridschan ihre Augen. Sie schaute erst verwirrt um sich, dann guckte sie Matthias im Nebenraum an und lächelte. „Du bist doch noch gekommen“, flüsterte sie ihm zu.
Sein Gesicht sah furchtbar aus. Er hatte letzte Nacht nicht geschlafen und seine Augen blieben die ganze Zeit über weit offen. Das hatte ihm der Schrecken des Todes angetan.
Erst nach einer Weile schaute er zu ihr auf und nickte. Sie bemerkte nun die Stille. Sie erhob sich und eilte zum Fenster. Draußen war kein Mensch mehr zu sehen. Sie hastete aus dem Haus und blieb mitten auf dem Gehweg stehen. Dort auf der Nordseite waren sie, die Leichen der Aramäer. Sie hielt sich die rechte Hand vor ihrem Mund. Sofort rannte sie wieder ins Haus zurück.
Matthias stand auf, er wollte unbedingt wissen, was draußen geschehen war. Sie schloss hinter sich die Tür und blieb dort stehen. Er kam langsam
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