Liebe, unendlich wie das Meer
geahnt, dass er auf Segeltörns mit anderen Frauen schläft, und schließlich bekam ich ja auch den Beweis dafür. Aber ich bin bei ihm geblieben, weil … na ja, er liebte mich, und er war ein großer Teil meines Lebens und …“ Sie holte tief Luft. „Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn nicht so geliebt habe, wie er es vielleicht erwartete. Wie konnte ich da Treue verlangen? Das wäre unfair gewesen, oder?“
Nach kurzem Schweigen fuhr sie fort: „Ich war jung, aber das ist keine Entschuldigung. Ich hätte wissen müssen, dass man nicht heiratet, wenn man den Mann nicht wirklich leidenschaftlich liebt. Wenn ich je wieder … na ja, ist ja auch egal.“
„Ich dachte wirklich, dass es bei euch die große Liebe ist“, sagte Alex leise.
„Nein, bestimmt nicht. Er liebte mich, so gut er konnte, aber es hat nicht gereicht. Er hat mir unglaublich viel bedeutet, aber das war auch nicht genug. Unsere Beziehung war ziemlich … kaputt. Wir haben nur noch so getan, als ob. Er muss sehr unglücklich gewesen sein, sonst hätte er sicher keine anderen Frauen gewollt. Das rede ich mir jedenfalls ein, denn es ist immer noch besser, als zu denken, dass er zur Treue einfach nicht fähig war. Denn das wäre schon ein großer Charakterfehler, oder?“
Nachdem sie von seinen Seitensprüngen erfahren hatte, war sie ins Gästezimmer gezogen. Er hatte ihre Ausreden kommentarlos akzeptiert. Auch darüber hatten sie nie geredet.
Kein gutes Zeichen für eine Ehe, dachte sie resigniert und brach in Tränen aus.
„Was ist denn?“
„Ich wollte nicht, dass er stirbt, wirklich nicht“, stieß sie hervor. „Was ich gesagt habe, klingt so verbittert und unversöhnlich, aber das liegt nur daran, dass ich mir zum ersten Mal eingestehe, was für eine Farce unsere Ehe wirklich war. Und ich schäme mich, dass ich erst jetzt den Mut dazu habe, wo er nicht mehr da ist und nichts mehr dazu sagen kann. Wir hätten uns wahrscheinlich über kurz oder lang getrennt, aber ich bin sicher, dass wir trotzdem Freunde geblieben wären. Er war ein wunderbarer Freund. Er hat mich immer zum Lachen gebracht und …“ Sie schluchzte laut auf.
An die guten Zeiten zu denken machte sie noch trauriger.
Aber sie wusste auch, dass weinende Frauen Alex peinlich berührten, deshalb tat sie ihr Bestes, sich zusammenzureißen.
„Ist ja auch egal“, sagte sie achselzuckend und unterdrückte ein weiteres Schluchzen, doch Alex ließ ihre Hand trotzdem los.
Siehst du, das hast du jetzt davon, dass du ihm was vorheulst, sagte sie sich. Doch dann legte er sich neben sie und zog sie in seine Arme.
Jetzt konnte sie gar nicht mehr an sich halten. Alex’ Nähe zeigte ihr noch deutlicher, was ihrer Beziehung zu Reese gefehlt hatte. Sie hatte Dankbarkeit empfunden, Respekt, Zuneigung, Wärme … und es für Liebe gehalten. Doch was Liebe wirklich bedeutete, das wusste sie erst seit Alex.
Als sie sich ausgeweint hatte, wurde ihr seine tröstliche Nähe auf ganz andere Weise bewusst. Sie atmete seinen männlichen Duft ein, diese einzigartige Mischung aus einem frischen Aftershave und Alex. Spürte unter ihrem Kopf seine harten Brustmuskeln. Seine Schenkel an ihren.
Sie schaute zu ihm auf und sah, dass er die Augen geschlossen hielt. Seine Lippen waren verführerisch nah. Natürlich war das keine gute Idee, aber sie konnte nicht anders – sie küsste ihn zärtlich.
Überrascht riss er die Augen auf und zuckte zurück, dann starrte er sie mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck an. Schließlich strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht, küsste sie auf die Stirn und drückte sie so an sich, dass sie seine Lippen nicht mehr erreichen konnte.
Es war eine liebevolle Zurückweisung, aber eine Zurückweisung. Kurz darauf stand er auf und ging zur Tür. Auf der Schwelle drehte er sich um.
„Gute Nacht, Cassandra. Wir sehen uns morgen, ja?“
Sie zog die Decke bis zur Nasenspitze. „Ja, sicher. Klar.“
Wie hatte sie auch vergessen können, dass unten seine Wunderbare auf ihn wartete?
Alex schwieg auf der Rückfahrt mit Madeline, und als sie zur Werkstatt zurückkamen, verschwand sie sofort im Bad. Während sie wieder lauthals und falsch die Star-Wars-Melodie trällerte, versuchte Alex, seine Gedanken zu ordnen. Er setzte sich an den Schreibtisch und trommelte mit den Fingern aufs Holz.
Schon lange war er nicht mehr so wütend gewesen. Wenn Reese noch lebte, würde er auf der Stelle zu seinem Freund fahren, ihn zur Rede stellen und ihm
Weitere Kostenlose Bücher