Liebe unter Fischen
Auspuffnähe schien ihm nichts zu fehlen.
Tschüüüss, rief Fred, um den Ösis noch zusätzlich eins auszuwischen, und dann fuhr er gemächlich über die Schotterstraße. Kurz, nachdem er über die Kuppe in das steile Stück der Straße gefahren war, bremste Fred abrupt ab. Legte in Sekundenschnelle den Rückwärtsgang ein und brachte seinen Wagen und sich in Sicherheit: Da gab es kein Steilstück mehr. Da gab, es, genau genommen, keine Straße mehr. Dort, wo gestern der Sturzbach die Straße geflutet hatte, klaffte heute ein breiter Krater. Ein Abgrund, der ihn von den anderen Menschen trennte.
Freds Herz zog sich krampfartig zusammen: Jetzt hatte er die Freiheit verloren. Zumindest das, was er unter Freiheit verstand, nämlich die Möglichkeit zur Flucht. Nun drohten ihm die Gefangenschaft in einer Hütte mit frühmittelalterlicher Ausstattung – und totale Einsamkeit.
Jetzt nur ganz ruhig bleiben und die Nerven nicht verlieren. Fred fuhr im Rückwärtsgang zur Hütte. Er setzte sich auf die Bank neben der Eingangstür, rauchte eine und drehte sein Handy auf. Er musste irgendwie Hilfe rufen. Oder zumindest melden, dass die Straße hier kaputt war. Was heißt kaputt. Weg war sie.
Das Display seines altmodischen Mobiltelefons zeigte keinen Empfang. Keinen einzigen Strich.
Hinter der Hütte führte ein schmaler Trampelpfad in die Höhe. Fred lief den Weg hinauf, zuerst zwischen Büschen, dann unter hohen Bäumen. Er hielt sein Handy panisch vor sich und beobachtete das Display. Kein Empfang. Null. Er lief weiter hinauf. Der Wald lichtete sich ein wenig. Fred hörte ein Rauschen. Er hielt sich das Telefon ans Ohr, in der verzweifelten Hoffnung, es würde etwas zu ihm sagen. Er wählte » Abrufen«, die erste seiner gespeicherten Nummern. Das Handy überlegte lange. Dann schrieb es: Kein Netz.
Fred sah sich um. Vor ihm fiel ein mindestens zwanzig Meter hoher Wasserfall über eine Felskuppe. Hier gab es kein Weiterkommen. » Scheiße«, wimmerte er.
Er lief zurück zur Hütte. Kein Netz. Er lief auf den Steg hinaus. Kein Netz. Er lief in beiden Richtungen am Seeufer entlang. Kein Netz. Er schwitzte heftig und seine Hände zitterten, als er sein Handy nach irgendwelchen rettenden Anwendungen durchsuchte. Das erste Mal in seinem Leben bereute Fred, sich so gar nicht mit diesem Ding auszukennen. Bis jetzt war er immer stolz darauf gewesen, in der Pose des technischen Ignoranten Originalität zu behaupten.
» Das ist nicht originell !« , schmetterte Fred dem See entgegen, und fügte » Trottel! !« hinzu, womit er aber nicht den See meinte, sondern sich selbst.
Es gab doch einen internationalen Notruf, den man überall verwenden konnte? Doch wie lautete die Nummer? Plötzlich kam ihm die rettende Idee! Das war’s! Er musste nur Susanne anrufen, die würde ihm die Nummer sagen. Die Hoffnung währte sehr kurz, dann erkannte Fred seinen Denkfehler. Er lief in die Hütte, dort hatte er auf einem Krug den Aufkleber der Bergrettung gesehen, das fiel ihm jetzt wieder ein. Hier stand alles! » Förderer der Bergrettung, Notruf 140 «.
Fred wählte 140 . Die Antwort lautete: kein Netz. Ein paar Enten stoben in Panik auseinander, als Fred lautstark seinen Handybetreiber verfluchte. Gleichzeitig erwachte in Fred die Idee, einen anderen Netzbetreiber zu wählen. Diese Funktion gab es doch irgendwo! Dann würde er einen Notruf absenden können!
In den nächsten Minuten rief Fred sehr oft und sehr laut das Wort » Trottel«. Er verlor viel Zeit damit, sich Klingeltöne anzuhören und änderte unabsichtlich das Erscheinungsbild seines Displays, bevor er die vielversprechende Zeile » Netzbetreiber auswählen« entdeckte. Er schaffte es, die vorgeschlagenen Netzbetreiber auszuwählen. Doch auch die anderen Netzbetreiber hatten: kein Netz.
Er versuchte dennoch, Susanne anzurufen. Dann 140 . 133 . 122 . 144 . Alle Not-Nummern, die er aus seiner Kindheit kannte.
Kein Netz.
Fred stieß einen Schrei aus, dessen Echo ihn selbst beeindruckte. Er schrie gleich noch einmal, erfüllt von einer unversöhnlichen Wut auf das gesamte Universum. Dann warf er sein Handy so weit wie möglich in den See.
Alfred Firneis fühlte sich ein klein wenig leichter.
Er setzte sich auf den Steg und atmete durch. Die Sonne verschwand gerade hinter einem Berg zu seiner Rechten. Als Fred seinen Kopf nach links wandte, sah er die kahlen Felsen des Gebirges im Abendsonnenschein leuchten. Über allen Gipfeln ist Ruh, dachte er, doch die Vöglein
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