Liebe unter Fischen
auf den Steg, der fast direkt von der Hüttentür etwa zwanzig Meter auf das Wasser hinausführte. Er legte sich bäuchlings auf die Lärchenbretter und spritzte sich das Gesicht ab. Das Wasser fühlte sich weniger kalt an, als er befürchtet hatte.
Fred ging zurück zur Hütte und durchsuchte die Kommode nach Tee, Kaffee, egal, irgendetwas, was ihm beim Erwachen helfen würde. Er hatte nicht nur vergessen, sein Bettzeug mitzunehmen, obwohl Susanne ihm das eingeschärft hatte, sondern auch jegliches Frühstücksgetränk. Vor dem ersten Glas Wein trank er ja doch meistens Kaffee. Fred verspürte schreckliches Heimweh nach Berlin. Dort würde er jetzt einfach eine dieser Alukapseln in seine Espresso-Maschine werfen, den Knopf drücken und fertig.
Von Alu-Kapseln und Espresso-Maschinen war er freilich denkbar weit entfernt. In dieser verdammten Hütte gab es nicht einmal Strom. Natürlich hatte Susanne ihn darauf hingewiesen. Er hatte genickt, aber im Grunde nicht verstanden, was das bedeutete: kein elektrischer Strom!
Immerhin, Fred fand ein Glas mit Löskaffee. Das Ablaufdatum lag etwa zehn Jahre zurück, aber was sollte schon schlecht werden an Löskaffee?
Um Wasser zu erwärmen, musste Fred allerdings zunächst den Tischherd in der Hütte befeuern. Und dazu musste er zuerst Holz suchen. Das fand er hinter der Hütte, in rauen Mengen. Er nahm drei Scheite mit. Neben dem Ofen lag Papier zum Unterzünden, ein Kurier aus dem Jahr 1985 : » Erste Verhaftung im Weinskandal« lautete eine Schlagzeile, und der politische Leitartikel befasste sich mit der Frage: » Wer ist dieser Michail Gorbatschow«?
Der Kommunismus ist tot, dachte Fred, als er das Papier anzündete, dafür ist der Wein besser geworden. Er legte die Holzscheite auf das Papier und schloss die Ofentür. Dann ging er zum Brunnen, füllte einen halb verrosteten Topf mit Wasser und stellte ihn auf die gänzlich verrostete Metallfläche des Herdes. Ungefähr gleichzeitig begann es aus sämtlichen Ritzen des altertümlichen Ofens zu rauchen. Zuerst ein bisschen, dann immer stärker. Fred riss die Fenster auf. Er drehte an allen möglichen Griffen und Hebeln des Herdes, öffnete und schloss Klappen, was die Rauchentwicklung stark zu unterstützen schien. Seine Augen brannten, er bekam keine Luft mehr. Er lief vor die Tür und sah verzagt in die vollends mit dunklen Rauchschwaden gefüllte Hütte.
Fred geriet in Panik. Er war gerade dabei, die Ferienhütte seiner Verlegerin abzubrennen! Er schnappte eine Gießkanne, füllte sie im See an, lief todesmutig in die Hütte und goss den Inhalt der Kanne ohne zu zögern über die glosenden Holzscheite. Es zischte, es rauchte noch einmal, doch die Intervention erwies sich als erfolgreich: Brand aus. Auf dem Holzboden der Hütte schwamm eine schwarzgraue Mischung aus Wasser und Asche. Fred setzte sich an den Tisch und nahm einen tiefen Schluck aus der Weinflasche. Schmeckte überhaupt nicht! Verzweifelt sah er sich um. Schmutz, Staub, Spinnweben, Mäusekot, und jetzt noch die Katastrophe mit dem Fußboden. Diese Hütte war ein Horror, der reinste Horror. Er würde sicher keine weitere Nacht hier verbringen. Und nicht einmal einen Tag. Berlin war zwar weit, aber so weit wieder nicht. Zur Not könnte er irgendwo übernachten. In Passau. In Nürnberg. In Bayreuth. Ja, lieber eine ganze Wagner-Oper in Bayreuth durchstehen, als noch einmal in diesem vergammelten Bett zu liegen. Auch Regensburg war angeblich sehr schön. Verglichen mit dieser vom Wasser und von verschneiten Bergen umschlossenen Gammel-Bude war alles großartig!
Fred brach mithilfe eines Messers einen Brocken Löskaffee aus dem Glas. Den Brocken legte er in eine Tasse und ging damit zum Brunnen. Warum nicht mal kalten Kaffee zum Frühstück? Sein Herzrasen erinnerte ihn daran, seinen Betablocker zu nehmen. Jetzt war es wichtig, klaren Kopf zu behalten, um die Abreise so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen.
Fred fühlte sich nahezu euphorisch, als er in seinem Mercedes saß. Er hatte in Rekordzeit den Boden notdürftig geputzt, seine paar Sachen zusammengepackt und die Hütte versperrt. In der Gams unten würde er sich einen Espresso genehmigen und noch mal Speck mit Ei ohne Speck. Er würde den Schlüssel zurückgeben und Kraft dieser befreienden Tat – endlich! – wieder Teil der menschlichen Zivilisation werden.
Der Benz sah zwar aus wie ein Rallye-Auto nach einer Schlamm-Sonderprüfung, aber bis auf ein kleines metallisches Klingeln in
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