Liebe unter Fischen
Nervenkitzel. Fred blieb nicht gerne stehen. Überhaupt mied er Autobahnraststätten. Die machten ihn immer schwindlig. Im Benz fühlte er sich sicher.
Die Sache mit der Waschanlage hätte er sich angesichts des Wetters vielleicht sparen können. Doch sein seit über einem halben Jahr in einer Nebenstraße abgestelltes Auto war von einer dicken, klebrigen Schmutzschicht überzogen gewesen. Er hatte mit dem Eisschaber ein Guckloch in die Scheibe kratzen müssen, um überhaupt bis zur Waschanlage zu kommen. Dafür war der Wagen sofort angesprungen. Nur ein Mercedes ist ein Mercedes. Ein Werbespruch, der Fred in seiner Schlichtheit so berührte wie eine gute Zeile von Rilke.
Fred hatte für das gewaschene Auto einen Parkplatz direkt vor seinem Haus gefunden. Er war in den kleinen Laden im Erdgeschoss gegangen. Özer hatte sich aufrichtig gefreut. Fred hatte ein paar Vorräte eingekauft: Schafkäse, Brot, Oliven, Tomaten. Halva als Notvorrat, da reichte ein Bissen, um tagelang satt zu sein. Und natürlich Wein. Zwölf Flaschen, das sollte für die ersten Tage genügen. Sonst würde er in dieser seltsamen Hütte nicht viel brauchen. Ein wenig Kleidung, eine Zahnbürste.
Als Fred an den Wein in seinem Kofferraum dachte, fiel ihm der Spruch eines weisen Kollegen ein: » Ein Tag ohne Bier ist wie ein Tag ohne Wein .« Die Aussicht auf ein österreichisches Märzen, womöglich Gösser vom Fass, ließ ihn doch an einer Autobahnraststätte halten. Gebückt, als ob das vor dem Regen schützen würde, lief Fred hinein. Drinnen bekam er augenblicklich Beklemmungen. Hier war alles falsch. Die Gestalter dieses Gastraumes hatten versucht, das idyllische Leben in einem alten Bauerngasthaus nachzustellen. Doch der Holzboden war kein echter Holzboden, sondern ein Plastikboden im Bretterlook. Kastenfenster mit Blumenschmuck waren als Trennwände unmotiviert und gänzlich zweckentfremdet mitten im Raum platziert worden. Der übliche Rustikalmüll wie hölzerne Mistgabeln, Rechen und Wagenräder hing oder stand überall herum. Fred stellte sich an die Theke. Die Kellnerin trug Landhausmode. Also ein Dirndl, das keine Tracht war, sondern nur so tat. So wie dieses ganze Lokal nur so tat, als ob.
Fred musste sich festhalten. Ihm schwindelte, vom langen Fahren oder von so viel Kitsch. Immerhin, eines passte: Gut, besser, Gösser. Noch so ein Werbespruch, der es in seinem Bauch warm werden ließ. Mit dem goldfarbenen Bier schluckte er eine seiner Tabletten hinunter. Er vertrug die Pillen gut. Die Sache mit dem erektilen Dings interessierte ihn derzeit nicht besonders.
Nach sich selbst gönnte Fred auch seinem Benz einen Schluck. Das war zugegebenermaßen ein kleines Problem, der Verbrauch. Er tankte voll. Auf keinen Fall durfte ihm dort bei dieser Hütte der Sprit ausgehen. Dann wäre er nämlich gefangen, und irgendwo gefangen zu sein, wie im Stau oder in einer Gondelbahn, gehörte neben Theaterbesuchen und Brokkoli zu den schlimmsten Vorstellungen in Freds Horror-Katalog.
Noch auf der Autobahn hatte Fred gedacht, der Regen könne gar nicht mehr zulegen. Nun, da er sich im Elbtal befand und auf die Berge zufuhr, merkte er, dass er sich getäuscht hatte. Wie hieß es im Wetterbericht immer so schön – die Wolken stauen sich an der Alpennordseite. Fred fuhr durch Wolken. Durch eine Wand aus Wasser. Von Bergen nichts zu sehen. Irgendwann, linker Hand, schemenhaft, ein altes Haus, ein sehr altes Haus: Gasthof zur Gams stand in Fraktur-Schrift darauf.
Fred parkte seinen Wagen vor der Tür und lief hinein. Die wenigen Meter genügten, um einigermaßen nass zu werden. Hinter der Theke stand niemand. Auch sonst unheimliche Leere, bis auf drei Gestalten in einer Ecke. Über ihrem Tisch baumelte ein rustikales Holzschild mit der Aufschrift » Stammtisch«. Zunächst sah Fred nur Hüte. Dann blickten die drei Männer auf. Ihr Gespräch verstummte nicht, denn sie hatten schon vorher nichts geredet. Aus glasigen, leicht geröteten Augen sahen sie Fred an, als hätten sie gerade den ersten homo sapiens ihres Lebens erblickt.
» Tach«, sagte Fred. Das Wort hallte fremdländisch durch den leeren Raum und Fred überlegte, ein » Grüß Gott« oder » Servus« nachzuwerfen, aber das hätte ihn nur noch mehr als Piefke gebrandmarkt. Alle seine während der Fahrt angestellten Überlegungen zu den geringen Unterschieden zwischen Deutschen und Österreichern verpufften in den Gesichtern dieser Eingeborenen. Das tiefe Österreich lag auf einem anderen
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