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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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von jemandem. Nur ein fiancé , ein fast ganz alleinstehender.«
    Beide lachten.
    »Nun gut«, sagte Mrs Chaddesley Corbett, »wir wollen nicht weiterbohren. Aber was wir wirklich von dir wissen möchten, es geht nämlich um eine Wette: Hast du, solange du zurückdenken kannst, immer für irgendjemanden geschwärmt? Eine ehrliche Antwort bitte!«
    Ich musste zugeben, dass dies so gewesen sei. Schon als Kind trug ich in meinem Herzen stets irgendein köstliches Bild mit mir herum, ihm galt der letzte Gedanke am Abend und der erste am Morgen. Fred Terry in der Rolle des Sir Percy Blakeney, Lord Byron, Rudolph Valentino, Heinrich V., Gerald du Maurier, die wonnige Mrs Ashton aus meiner Schule in Steerforth, Napoleon, der Schaffner im Zug um 4.45 Uhr – ein Bild war dem anderen gefolgt. In letzter Zeit war mir ein bleicher, von sich selbst sehr eingenommener junger Mann aus dem Außenministerium, der mich während meiner Saison in London einmal zum Tanz aufgefordert hatte, als die Blüte kosmopolitischer Kultiviertheit erschienen und war der Dreh- und Angelpunkt meines Daseins geblieben, bis Sauveterre ihn aus meinem Gedächtnis verdrängte. Denn so erging es all diesen Bildern. Zeit und Distanz ließen sie verblassen und verschwimmen, löschten sie aber nie ganz aus, bis ein neues köstliches Bild auftauchte und sie wegwischte.
    »Da hast du’s«, wandte sich Mrs Chaddesley Corbett triumphierend an Lady Montdore. »Vom Kinderwagen bis zum Katafalk, Liebling, das entspricht auch meiner Erfahrung. Worüber soll man denn sonst auch nachdenken, wenn man mal allein ist?«
    Ja, worüber? Diese Veronica hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Lady Montdore schien indessen nicht überzeugt. Sie hatte bestimmt nie irgendwelche romantischen Sehnsüchte gehegt, und trotzdem hatte sie immer reichlich Stoff zum Nachdenken gehabt, auch wenn sie allein war, was ohnehin kaum vorkam.
    »Aber in wen soll sie sich denn hier verliebt haben? Und wenn es so wäre, dann würde ich es doch wissen«, sagte sie.
    Ich ahnte, dass sie über Polly sprachen, und Mrs Chaddesley Corbett bestätigte dies, indem sie sagte: »Nein, Liebling, das würdest du nicht, du bist ihre Mutter. Wenn ich bedenke, was sich Mama über meine Verehrer alles zusammengereimt hat …«
    »Nun, Fanny, sag uns deine Meinung. Ist Polly verliebt?«
    »Also, sie sagt, sie wäre es nicht, aber …«
    »Aber du hältst es für unmöglich, dass man nicht für irgendwen schwärmt. Ganz meine Meinung.«
    Ich wusste es nicht. Polly und ich hatten am Abend vorher in unseren Morgenröcken auf meinem Bett gelegen und lange geplaudert, und ich war mir fast sicher gewesen: Sie behielt etwas für sich, das sie mir eigentlich gern erzählt hätte.
    »Ich nehme an, es hängt davon ab, wie man veranlagt ist, oder?«, sagte ich.
    »Trotzdem«, sagte Lady Montdore, »eines steht fest. Sie nimmt keine Notiz von den Männern, die ich ihr besorge, und sie nehmen keine Notiz von ihr. Mich beten sie an, das versteht sich, aber wozu?«
    Mrs Chaddesley Corbett warf mir einen Blick zu, und ich glaubte, ein verstohlenes Zwinkern darin zu erkennen.
    »Sie langweilt sich, und sie langweilt andere – das ist es. Ich kann nicht behaupten, dass ich besonders wild darauf bin, sie in die Londoner Gesellschaft einzuführen, wenn sie so weitermacht. Früher war sie ein so liebes, umgängliches Kind, aber seit sie erwachsen ist, hat sich anscheinend ihr ganzer Charakter verändert. Ich verstehe das nicht.«
    »Ach, bei irgendeinem netten Kerl in London wird sie bestimmt schwach werden, Liebling«, sagte Mrs Chaddesley Corbett. »Ich würde mir an deiner Stelle nicht solche Sorgen machen. Egal, in wen sie verliebt ist, falls sie es ist, wovon Fanny und ich allerdings überzeugt sind – wahrscheinlich hängt sie doch nur irgendeinem Traum nach, und es genügt, dass sie mal ein paar Leute aus Fleisch und Blut zu Gesicht bekommt, damit sie die ganze Sache vergisst. So ergeht es den Mädchen oft.«
    »Ja, meine Liebe, alles gut und schön, aber in Indien ist sie schon vor zwei Jahren eingeführt worden. Es gab dort ein paar sehr attraktive Männer, beim Polo und so, natürlich nichts Passendes, und ich war heilfroh, dass sie sich in keinen von ihnen verliebt hat, aber sie hätte gekonnt, es wäre durchaus nicht unverständlich gewesen. Die Tochter der armen Delia hat sich sogar in einen Radscha verliebt, weißt du.«
    »Das kann man ihr wirklich nicht zum Vorwurf machen«, meinte Mrs Chaddesley Corbett.
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