Liebe unter kaltem Himmel
einer Schönheit erwartete. Wenngleich die Gesellschaft und die Geselligkeit zu dieser Zeit für sie keinen Reiz besaßen, war sie doch stets auf ihre Erscheinung bedacht, und ich hatte das Gefühl, sie würde auch nie aufhören, sich darum zu kümmern, wie es Lady Patricia eines Tages getan hatte.
Also fuhren wir zu Madame Rita, wo ich mir, während Polly ihre Anprobe hatte, sämtliche vorhandenen Hüte aufsetzte und mich fragte, warum mir Hüte einfach nicht standen, vielleicht hing es mit meinem Heidekrauthaar zusammen, und dann fuhren wir nach Hampton Court hinaus, wo Pollys Großtante, die Witwe eines Generals, eine Wohnung hatte. Hier saß sie von morgens bis abends, legte ihre Patiencen und wartete auf die Ewigkeit.
»Und trotzdem glaube ich nicht, dass sie es sterbenslangweilig findet, weißt du«, sagte Polly.
»Mir ist aufgefallen, dass Ehefrauen und selbst Witwen nie daran sterben. Das Heiraten scheint irgendetwas an sich zu haben, wodurch es für immer aufhört, ich frage mich bloß, was?«
Polly gab keine Antwort. Schon bei der Erwähnung des Wortes Heiraten klappte sie zu wie eine Muschel, daran musste man immer denken, wenn man mit ihr zusammen war.
Einen Tag, bevor meine Verlobung in der Times angezeigt werden sollte, schickte mich Tante Emily nachmittags zum Montdore House. Ich sollte die Neuigkeit selbst überbringen. Eigentlich ist es nicht meine Art, einfach irgendwo »hereinzuschneien«. Mir ist lieber, wenn mich die Leute für eine bestimmte Uhrzeit einladen, wenn sie mich erwarten und sich darauf eingestellt haben, dass ich komme, aber ich wusste, Tante Emily hatte recht, als sie mir sagte, Lady Montdore habe mich immer so freundlich behandelt, und Polly sei eine so gute Freundin von mir, deshalb dürfte ich nicht zulassen, dass sie von meiner Verlobung erst nebenbei aus der Zeitung erführen.
Also fuhr ich hin, ziemlich nervös. Bullitt, der Butler, jagte mir jedes Mal einen Schreck ein. Er sah aus wie Frankensteins Monster und schlurfte mit ruckartigen Schritten durch eine Art von riesigem Museum vor einem her, bevor man in das kleine grüne Zimmer gelangte, in dem sie immer saßen, das einzige im ganzen Haus, das nicht so aussah, als sei es gerade für einen Empfang ausgeräumt worden. Heute jedoch wurde die Haustür von einem Lakaien mit menschlicheren Zügen geöffnet, der überdies die gute Nachricht bereithielt, ihre Ladyschaft sei noch nicht zurückgekehrt, doch Lady Polly sei anwesend. So machten wir uns auf den langen Weg und fanden sie schließlich auch, umringt von den üblichen Fünf-Uhr-Utensilien: dem Silberkessel auf der Flamme, der silbernen Teekanne, den Tassen und Tellern aus Grown-Derby-Porzellan, dazu Gebäck und Süßigkeiten in solcher Menge, dass man damit eine Konditorei hätte ausstatten können. Sie saß auf der Armlehne eines Sessels und las den Tatler .
»Herrlicher Tatler-Tag heute«, sagte sie, »so etwas hilft einem beim Sterben über manches hinweg. Ich stehe drin, und Linda auch, aber du fehlst diese Woche. Lieb, dass du gekommen bist, gerade habe ich gedacht, wie schön es wäre, wenn jetzt ein netter Besuch käme – eben ist der Tee fertig.«
Ich wusste nicht, wie sie die Nachricht von meiner Verlobung aufnehmen würde, denn seit ich sie gebeten hatte, Alfred zu dem Ball einzuladen, hatte ich ihr nie mehr von ihm erzählt. Junge Männer und Gespräche über die Liebe, so schien mir, konnte sie nicht leiden. Aber als ich ihr jetzt die Neuigkeit berichtete, war sie begeistert und beschwerte sich nur über meine Heimlichtuerei.
»Ich weiß noch, du hast mich gebeten, ihn zu dem Ball einzuladen«, sagte sie. »Aber dann hast du ihn nie mehr erwähnt, kein einziges Mal.«
»Ich habe mich nicht getraut, darüber zu sprechen«, sagte ich, »falls – na ja – es war einfach zu wichtig.«
»Oh, das verstehe ich gut. Ich bin ja so froh, dass du dich danach gesehnt hast, bevor er dich gefragt hat. An das andere glaube ich nämlich nicht – diese Leute, die erst mit sich zu Rate gehen müssen, weißt du. Was für ein Glück du hast, stell sich einer vor, den heiraten können, den man liebt. Du weißt gar nicht, wie froh du sein kannst.« Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. »Weiter«, sagte sie, »erzähl mir alles.«
Dieser für Polly ganz ungewöhnliche Gefühlsausbruch überraschte mich, aber in meinem großen neuen Glück dachte ich nur an mich und machte mir keine Gedanken darüber. Außerdem wollte ich ihr natürlich unbedingt alles
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