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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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dass er als Adjutant eines Generals während des Krieges von meinem Onkel einmal dabei ertappt worden war, wie er hinter den Linien ein Château zeichnete. Irgendetwas konnte nicht stimmen mit einem Mann, der seine Zeit mit Zeichnen verschwenden und überhaupt die Pflichten eines Adjutanten übernehmen konnte, wenn anderswo Gelegenheit bestand, von morgens bis abends Ausländer abzuschlachten.
    »Eine verdammte Kammerzofe, sonst gar nichts«, sagte Onkel Matthew jedes Mal, wenn der Name Boy fiel. »Ich kann diesen Gulli nicht ausstehen. Boy – passt genau! Und Dougdale! Was bedeutet das überhaupt? Früher, als der ›alte Lord‹ noch lebte, wohnten auf Silkin äußerst ehrenwerte Leute namens Blood. Major und Mrs Blood!«
    Der »alte Lord« war der Vater von Lord Montdore. Jassy hatte einmal mit großen Augen gemeint: »Dann muss er ja wirklich alt gewesen sein«, woraufhin Tante Sadie ihr erklärte hatte, die Menschen blieben nicht ihr Leben lang gleich alt, und er sei zu seiner Zeit ganz bestimmt jung gewesen, genauso wie sie, Jassy, eines Tages alt werden würde, auch wenn sie es sich nicht vorstellen könne.
    Es war nicht besonders logisch, dass Onkel Matthew Boys militärische Leistungen so sehr heruntermachte, es zeigte nur einmal mehr, dass diejenigen, die er mochte, nichts falsch, und diejenigen, die er nicht mochte, nichts richtig machen konnten – Lord Montdore nämlich, sein großer Held, hatte das vergnügliche Geknatter der Schießübungen in seinem ganzen Leben nie vernommen, und nie hatte es ihn in die Nähe irgendeiner Schlacht verschlagen; er war wohl schon ein wenig zu alt gewesen, um während des Weltkriegs ins Feld zu ziehen, aber auch in seinen jungen Jahren hatte er so manches Gefecht ungenutzt verstreichen lassen, lauter Gelegenheiten, auf Eingeborenenleiber einzudreschen, ganz zu schweigen von den Holländerleibern im Burenkrieg, mit dem Onkel Matthew glanzvolle Erinnerungen verband – an das erste Biwak und die erste Schlacht in seinem Leben.
    »Vier Tage im Ochsenkarren«, erzählte er uns oft, »ein Loch, groß wie deine Faust, im Magen, und dann die Maden! War die schönste Zeit meines Lebens. Nur das Hammelfleisch war man irgendwann leid, kein Rindfleisch auf dem ganzen Feldzug, wisst ihr.«
    Aber für Lord Montdore galten alle diese Gesichtspunkte nicht, ihm wurde sogar der berühmte Montdore-Brief an die Morning Post verziehen, in dem er geschrieben hatte, der Krieg habe jetzt lange genug gedauert und müsse beendet werden, und dies mehrere Monate, bevor die feige Kapitulation des Hunnen es dann tatsächlich nötig gemacht hatte, den Kampf bis auf Weiteres zu vertagen. Es fiel Onkel Matthew nicht leicht, diese Spielverderberei zu verzeihen, aber er tat es mit der Bemerkung, Lord Montdore müsse für diesen Brief einen Grund gehabt haben, den niemand sonst kenne.
    Meine Gedanken konzentrierten sich jetzt auf den Eingang zum Ballsaal, wo ich plötzlich den Hinterkopf von jemandem entdeckt hatte. Er war also doch gekommen. Zwar hatte ich nicht geglaubt, dass er kommen würde (er hatte eine so ernsthafte Art), aber darum war meine Enttäuschung, als ich ihn dann wirklich nicht gesehen hatte, um nichts geringer gewesen, und nun war er doch da. Ich sollte vielleicht erläuternd hinzufügen, dass das Bild Sauveterres, das mehrere Monate lang in meinem hoffnungslosen Herzen regiert hatte, in letzter Zeit durch etwas Ernsthafteres verdrängt und ersetzt worden war, etwas, das mehr Wirklichkeit besaß und verheißungsvoller schien.
    Ein Hinterkopf, der auf einem Ball sichtbar wird, kann eine sehr beflügelnde Wirkung auf ein junges Mädchen ausüben – von anderen Hinterköpfen unterscheidet er sich so sehr, als wäre er mit einem Heiligenschein versehen. Als Nächstes stellt sich die Frage: Wird er sich umdrehen, wird er sie sehen, und wenn er sie sieht, wird er nur höflich einen Guten Abend wünschen, oder wird er sie zum Tanz auffordern? Ach, wie sehr wünschte ich mir, in den Armen eines faszinierenden Mannes herumzuwirbeln, statt hier als Mauerblümchen bei meinen Tanten und Onkeln zu sitzen. Obwohl ich eigentlich nichts dagegen hatte. Es vergingen einige Augenblicke furchtbarer Anspannung, bevor der Kopf sich drehte, aber als es dann geschehen war, da sah er mich, kam sofort herüber, sagte mehr als höflich Guten Abend und entführte mich auf die Tanzfläche. Er hatte geglaubt, er würde es nicht mehr schaffen; es hing mit den Bundhosen zusammen, er hatte sie sich geliehen und dann

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