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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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ein bisschen Luft zu schnappen, aber lange, einsame Spaziergänge, die in einem Rendezvous hätten enden können, unternahm sie nicht.
    Jassy und Victoria, romantisch veranlagt wie alle Radletts, fanden dies alles unbegreiflich und sehr enttäuschend. Sie hatten sich schon in einer komischen Oper gesehen, hatten erwartet, der Lektor werde seufzend, aber hoffnungsfroh durch das Gelände streichen, Polly werde seufzend, aber dem Bund fürs Leben erwartungsvoll entgegensehend, im Mondenschein aus einem Fenster nach ihren ebenso scharfsinnigen wie tatkräftigen jungen Freundinnen Ausschau halten, um sich von ihnen auf den Weg nach Gretna Green bringen zu lassen.
    Sie schafften eine Matratze und Nahrungsmittelvorräte in den Wäscheschrank der Hons, falls Boy sich dort ein paar Tage versteckt halten wollte. Sie hatten an alles gedacht, wie sie mir berichteten, und waren gerade dabei, eine Strickleiter herzustellen. Aber Polly spielte nicht mit.
    »Wenn du irgendwelche Briefe hast, die zur Post sollen, Polly, du weißt schon, einen Brief – wir könnten ihn mit dem Fahrrad ins Dorf bringen, es macht uns nichts aus.«
    »Lieb von euch, aber wenn ich sie auf den Tisch in der Vorhalle lege, geht es genauso schnell, oder?«
    »Natürlich, wie du willst, aber dann wird jeder die Anschrift lesen, und ich dachte … Oder irgendwelche Botschaften? Im Postamt unten im Dorf gibt es ein Telefon, es ist zwar öffentlich, aber du könntest Französisch sprechen.«
    »Mein Französisch ist nicht besonders gut. Gibt es denn hier kein Telefon?«
    »Ein grässlicher Apparat, überall Nebenanschlüsse. Im Park steht ein hohler Baum, so groß, dass sich ein Mensch darin verstecken kann – ganz trocken und sehr bequem –, sollen wir ihn dir zeigen?«
    »Das müsst ihr demnächst unbedingt mal tun. Aber ich finde, heute ist es zu kalt, um hinauszugehen.«
    »Übrigens, in einem Wald auf der anderen Seite des Flusses steht ein niedliches Tempelchen, wir könnten dich hinführen.«
    »Meint ihr Faulkner’s Folly, wo immer die Jagdtreffen stattfinden? Aber Jassy, das kenne ich sehr gut. Ich war oft dort. Sehr hübsch.«
    »Was ich eigentlich sagen wollte: Der Schlüssel wird unter einem Stein aufbewahrt, wir könnten dir genau zeigen, wo, und du könntest hinein.«
    »Außer Spinnweben gibt es nichts darin«, warf ich ein, »du weißt doch, es ist nie fertig geworden.«
    Jassy warf mir einen wütenden Blick zu. »Taktleer«, murmelte sie.
    »Wir können ja im Sommer mal hingehen«, meinte Polly, »und dort ein Picknick veranstalten. Bei diesem Wetter macht es mir draußen keinen Spaß, meine Augen tränen so leicht.«
    Entmutigt schlichen die Kinder davon.
    Polly brach in Lachen aus: »Sind sie nicht himmlisch? Aber ich verstehe wirklich nicht, warum ich mich derart abmühen soll, um ein paar Minuten mit Boy in einem eiskalten Tempel zu verbringen, oder warum ich ihm über nichts und wieder nichts schreiben soll, wenn ich ihn doch bald mein Leben lang für mich habe. Außerdem will ich Lady Alconleigh nicht verärgern, wo sie schon so nett ist, mich hier wohnen zu lassen.«
    Tante Sadie begrüßte Pollys Haltung zwar sehr, weil sie ihr jeden Grund zur Sorge nahm, aber auch ihr erschien sie höchst unnatürlich.
    »Ist das nicht seltsam«, sagte sie, »man sieht ihr an, dass sie sehr glücklich ist, aber davon einmal abgesehen, käme man nicht auf den Gedanken, dass sie verliebt ist. Meine Mädchen werden immer so träumerisch, schreiben den ganzen Tag seitenlange Briefe, stürzen zum Telefon, wenn es läutet, und so weiter, aber nichts von alledem bei Polly. Gestern habe ich sie beobachtet, als Matthew ›Che gelida manina‹ auf dem Grammophon spielte, sie sah kein bisschen sentimental aus. Erinnert ihr euch, wie furchtbar es mit Linda war, als Tony nach Amerika gefahren war – immerzu Flut, Tränenflut.«
    Aber Polly hatte eine härtere Schule des Gefühls durchgemacht als die Radletts, bei einer Mutter, die entschlossen war, alles herauszufinden, was ihrer Tochter durch den Kopf ging, und auch noch deren Gedanken nach ihren eigenen Wünschen zu formen. Wie erfolgreich Polly sich diesen beiden Absichten widersetzt hatte, konnte man nur bewundern. Offensichtlich war ihr Charakter in einem Maße abgehärtet, wie es meinen Cousinen, die sich von den Böen und Stürmen des Gefühls hierhin und dorthin treiben ließen, ganz unbegreiflich erschien.
    Diesmal gelang es mir, einige lange Gespräche allein mit Polly zu führen, aber einfach war es

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