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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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nicht. Jassy und Victoria ließen uns kaum eine Minute Ruhe und lebten in der ständigen Angst, etwas zu verpassen; außerdem waren sie schamlose Lauscherinnen, während die Plauderstunde beim abendlichen Haarebürsten für mich und Polly ausfiel, nachdem ich vor Kurzem geheiratet hatte. Zum Glück machten die Kinder jeden Tag einen Ausritt, und dann konnten wir für eine Stunde mit ungestörter Ruhe rechnen; gejagt wurde wegen der Maul- und Klauenseuche damals nicht.
    Nach und nach kam alles heraus. Polly gab ihre Zurückhaltung zwar nie auf, aber hin und wieder erhellte eine plötzliche Vertraulichkeit die Umgebung wie ein Blitz, und ich sah alles deutlich vor mir. Es verhielt sich ungefähr, wie wir es vermutet hatten.
    So fragte ich sie einmal, wann Boy ihr seinen Antrag gemacht habe, worauf sie ganz unbekümmert erwiderte: »Oh, Boy hat mir überhaupt keinen Antrag gemacht, und ich glaube nicht, dass er es je getan hätte, mit seiner ganzen Art – ich meine, diese ungeheure Selbstlosigkeit, wenn er zum Beispiel glaubt, mir würde es etwas ausmachen, wenn ich nicht erbe, und dieser ganze Quatsch. Außerdem kennt er Mami sehr gut und wusste, was für einen Aufstand sie machen würde – er wollte mir das nicht zumuten. Nein, nein, ich habe immer gewusst, dass ich ihm einen Antrag machen müsste, und das habe ich getan. Es war nicht sehr schwierig.«
    Davey hatte also recht. Dem Lektor wäre der Gedanke an eine solche Ehe nie in den Sinn gekommen, wenn Polly nicht nachgeholfen hätte. Danach jedoch konnte er einfach nicht widerstehen, das große Los auch wirklich zu ziehen, die größte Schönheit und reichste Erbin ihrer Generation und vielleicht die Mutter der Kinder, der kleinen Halb-Hamptons, nach denen er sich schon immer gesehnt hatte. In dem Augenblick, wo dies alles vor ihm lag und er nur zuzugreifen brauchte, hatte er nicht Nein sagen können.
    »Schließlich liebe ich ihn so lange, wie ich zurückdenken kann. Ach, Fanny – ist es nicht wunderbar, glücklich zu sein?«
    Ich fühlte genauso und konnte ihr von ganzem Herzen zustimmen. Aber ihr Glück hatte etwas eigenartig Gesetztes an sich, und ihre Liebe glich weniger dem verzückten Hingerissensein eines jungen, frisch verlobten Mädchens als vielmehr der Behaglichkeit eines seit Langem bestehenden Verhältnisses, diese Liebe brauchte sich nicht durch fortwährende Begegnungen und rastlosen Austausch von Briefen mit dem geliebten Menschen oder durch unablässiges Reden über ihn zu bestätigen, sie hielt sich selbst und seine Reaktion für selbstverständlich. Von den Zweifeln und Eifersuchtsgefühlen, die so quälend sein und eine aufkeimende Liebe manchmal fast zur Hölle machen können, schien Polly nie befallen. Ihrer Ansicht nach waren sie und Boy bisher einfach durch ein unüberwindliches Hindernis getrennt gewesen, und nun, da dieses Hindernis aus dem Weg geräumt war, tat sich vor ihnen der Weg zu einem Leben voller Wonne auf.
    »Was macht es schon, wenn diese grässliche Warterei noch ein paar Wochen dauert, da wir doch von nun an für immer zusammenleben und später im selben Grab liegen werden.«
    »Stell dir vor, mit dem Lektor im selben Grab zu liegen«, sagte Jassy, als sie vor dem Lunch in mein Zimmer kam.
    »Jassy, ich finde es einfach abscheulich, wie ihr an den Türen lauscht.«
    »Ruhig Blut, Fanny, ich will doch Romanschriftstellerin werden (›Junge Autorin setzt Kritik in Erstaunen‹) und studiere gerade wie verrückt die menschliche Natur.«
    »Ich sollte Tante Sadie Bescheid sagen.«
    »Nur zu! Lauf ruhig zu den Gruftis über, jetzt, wo du verheiratet bist, genau wie Louisa. Nein, mal ernsthaft, Fanny, stell dir vor, gemeinsam mit dem Lektor in einem Grab, wäre das nicht abscheulich? Und überhaupt, was ist denn mit Lady Patricia?«
    »Die hat ein Grab für sich allein, eingefasst mit Heidekraut. Da liegt sie sehr gut.«
    »Ich finde es schockierend.«
    Unterdessen tat Tante Sadie das Ihre, um Polly zu beeinflussen, aber da sie sich scheute, über so intime Fragen wie Sexualität und Ehe offen zu sprechen, bediente sie sich einer indirekten Methode und ließ gelegentlich eine allgemeine Bemerkung fallen, in der Hoffnung, Polly werde sie auf ihren besonderen Fall anwenden.
    »Denkt immer daran, Kinder, die Ehe ist eine sehr enge Beziehung, da sitzt man nicht nur mit einem anderen da und plaudert, die Ehe hat auch andere Seiten, versteht ihr.«
    Boy Dougdale wirkte körperlich abstoßend auf sie, wie wohl auf die meisten Frauen,

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