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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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und wurde zum Lunch eingeladen. Er blieb bis nach dem Tee, und dank einer glücklichen Fügung hatte sich Polly schon zu Bett begeben, als er zurückkehrte, sodass er alles berichten konnte.
    »Sie tobt vor Wut«, sagte er, »sie tobt wirklich. Einfach erschreckend. Und dabei ist ihr das zugestoßen, was die Franzosen einen ›coup de vieux‹ nennen; sie sieht aus wie hundert. Ich möchte von niemandem so gehasst werden, wie sie Boy hasst. Man weiß ja nie, vielleicht ist an der Christian Science ja doch etwas dran; boshafte Gedanken und dergleichen, die mit großer Intensität gegen uns gerichtet werden, wirken sich vielleicht auf den Körper aus. Wie sehr sie ihn hasst! Stellt euch vor, sie hat die Stickerei, die er für den Kaminschirm hergestellt hat, einfach mit der Schere herausgeschnitten, aber der Schirm steht noch immer vor dem Feuer, mit einem riesigen Loch drin. Es hat mir einen ziemlichen Schock versetzt.«
    »Arme Sonia, irgendwie passt es zu ihr. Und was sagt sie über Polly?«
    »Sie trauert um sie, und sie ist ihr auch ziemlich böse, weil sie so hinterhältig gewesen ist und es all die Jahre für sich behalten hat. Ich sagte: ›Aber du kannst doch nicht erwarten, dass sie es dir erzählt!‹ Da war sie allerdings anderer Meinung. Sie stellte mir viele Fragen über Polly und ihr inneres Befinden. Ich musste ihr sagen, dass mir die Einsicht in Pollys inneres Befinden verwehrt sei, dass sie aber, wenn möglich, noch einmal so schön aussehe wie vorher, woraus man schließen könne, dass sie glücklich sei.«
    »Ja, bei Mädchen erkennt man es immer daran«, sagte Tante Sadie. »Wenn das nicht wäre, würde ich gar nicht auf die Idee kommen, dass sie sich überhaupt für irgendwas oder irgendwen interessiert. Einen seltsamen Charakter muss dieses Mädchen haben!«
    »So seltsam nun auch wieder nicht«, sagte Davey. »Viele Frauen sind ziemlich rätselhaft, und nur wenige lachen, wenn sie glücklich sind, oder weinen, wenn sie traurig sind, so viel wie deine Kinder, meine liebe Sadie, und wir anderen sehen auch nicht immer alles in Schwarz oder Weiß. Das Leben wird in Alconleigh übermäßig vereinfacht, und das hat gewiss seinen Reiz, ich beklage mich nicht, aber du darfst nicht meinen, alle Menschen wären wie die Radletts, denn so ist es nun mal nicht.«
    »Du bist lange geblieben.«
    »Die arme Sonia ist so einsam. Es muss grässlich für sie sein. Wir haben über nichts anderes gesprochen, immer nur über das eine Thema, unter allen erdenklichen Aspekten. Sie bat mich, Boy aufzusuchen und herauszufinden, ob die Hoffnung besteht, dass er den Plan aufgibt und für einige Zeit ins Ausland geht. Sie sagt, Montdores Anwalt habe an Boy geschrieben und ihm mitgeteilt, an dem Tag, an dem Polly ihn heirate, werde sie aus dem Testament ihres Vaters gestrichen, außerdem werde Montdore die Zuwendungen für Patricia nicht mehr zahlen, die er Boy eigentlich auf Lebenszeit hatte lassen wollen. Sie befürchtet, dass er auch so noch immer genug zum Leben hat, aber ich denke, es könnte ihn wachrütteln. Ich habe nicht versprochen hinzufahren, aber vielleicht tue ich es trotzdem.«
    »Du musst unbedingt«, sagte Jassy. »Da haben wir auch ein Wörtchen mitzureden.«
    »Kinder, redet nicht immer dazwischen«, sagte Tante Sadie. »Wenn ihr den Mund nicht halten könnt, dann schicken wir euch demnächst bei ernsten Gesprächen nach draußen – außerdem«, fuhr sie fort und wurde plötzlich sehr streng, wie früher so oft, als Linda und ich noch klein waren, »außerdem finde ich, ihr geht jetzt besser. Los, ab mit euch!«
    Sie gingen. Aber als sie an der Tür waren, murmelte Jassy für jedermann hörbar: »Diese labile, unentschlossene Einstellung zur Disziplin kann in unserer jungen Psyche bleibenden Schaden anrichten. Ich finde wirklich, Sadie sollte vorsichtiger sein.«
    »Aber nein, Jassy«, meinte Victoria, »es sind doch gerade unsere Komplexe, die uns faszinierend und ungewöhnlich machen.«
    Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, sagte Davey in ernstem Ton: »Sadie, du lässt ihnen wirklich zu viel durchgehen.«
    »Ach ja«, sagte Tante Sadie, »das fürchte ich auch. Es kommt davon, wenn man so viele Kinder hat. Ein paar Jahre kann man sich zwingen, streng zu sein, danach wird es zu anstrengend. Aber Davey, glaubst du wirklich, dass es irgendetwas ausmacht, wenn sie erst erwachsen sind?«
    »Bei deinen Kindern wahrscheinlich nicht, es sind ja allesamt Teufel. Aber sieh dir an, wie ordentlich wir

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