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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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niemanden hatte, mit dem sie sich amüsieren konnte. Es war keine sonderlich dankbare Aufgabe, Polly in die Gesellschaft einzuführen. Ich mag sie auch sehr gern und habe sie schon immer gemocht, aber man hat ja gesehen, wie schwer es Sonia in vieler Hinsicht mit ihr hatte. Ach, arme Sonia, und wenn ich dann noch bedenke – so, Kinder, wollt ihr jetzt mal nach oben gehen und euch vor dem Tee die Fischhände waschen?«
    »Das ist die Höhe – bestimmt willst du etwas erzählen, während wir nicht da sind. Und was ist mit Fannys Fischhänden?«
    »Fanny ist erwachsen, sie wäscht sich ihre Hände, wenn sie es für richtig hält. Ab jetzt!«
    Als die beiden schließlich draußen waren, erklärte sie mir und Davey voller Entsetzen: »Stellt euch bloß vor, Sonia hatte ihre Selbstbeherrschung völlig verloren (was ich ihr wirklich nicht zum Vorwurf mache) und dabei angedeutet, dass Boy früher ihr eigener Liebhaber gewesen ist.«
    »Liebste Sadie, deine Unschuld!«, sagte Davey lachend, »Das ist eine sehr berühmte Affäre, über die außer dir jeder gründlich Bescheid weiß. Manchmal glaube ich, deine Kinder haben recht: Von den Tatsachen des Lebens hast du keine Ahnung.«
    »Da kann ich nur sagen: zum Glück. Wie abscheulich! Meinst du, Patricia wusste etwas?«
    »Natürlich wusste sie es, und sie war heilfroh darüber. Bevor das Verhältnis mit Sonia begann, hatte Patricia immer all die schrecklichen kleinen Debütantinnen am Hals, auf die Boy ein Auge geworfen hatte, sie weinten sich bei ihr aus und bettelten, sie solle sich von ihm scheiden lassen, aber das war natürlich das Letzte, was er wollte. Sie hatte ziemlich viel Ärger mit ihm, weißt du.«
    »Ich erinnere mich an ein Küchenmädchen«, sagte Tante Sadie.
    »Oh, da kam eins aufs andere, bevor Sonia sich mit ihm einließ, aber sie hatte einen gewissen Einfluss auf ihn, und Patricias Leben war von da an viel leichter und angenehmer, bis es mit ihrer Leber so schlimm wurde.«
    »Trotzdem«, sagte ich, »war er, wie wir wissen, noch immer hinter kleinen Mädchen her, denk an Linda.«
    »Tatsächlich?«, sagte Tante Sadie. »Ich habe mich manchmal gefragt – pfui! was für ein Mann! Wie kommst du bloß darauf, dass irgendetwas für ihn spricht, Davey, und wie kannst du behaupten, er habe nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass Polly sich in ihn verliebte? Wenn er sich an Linda herangemacht hat, dann muss er es bei ihr natürlich genauso gemacht haben.«
    »Ja, aber Linda hat sich nicht in ihn verliebt, oder? Wie soll er ahnen, dass ein vierzehnjähriges Mädchen, dem er über das Haar streicht, später, als Erwachsene, darauf besteht, ihn zu heiraten – das ist einfach zu viel verlangt, oder? Ich nenne das Pech für ihn.«
    »Davey, du bist unmöglich! Und wenn ich nicht wüsste, dass du mich bloß ärgern willst, wäre ich dir wirklich böse.«
    »Arme Sonia«, sagte Davey. »Sie tut mir leid, die Tochter und den Liebhaber auf einen Schlag zu verlieren – na, das kommt oft vor, aber sonderlich angenehm ist es bestimmt nicht.«
    »Ich bin sicher, dass es die Tochter ist, die ihr Kummer macht«, sagte Tante Sadie, »von Boy hat sie kaum gesprochen. Geseufzt und gestöhnt hat sie wegen Polly, eine solche Schönheit, einfach weggeworfen. Mir würde es genauso ergehen, ich könnte das bei meinen Kindern auch nicht ertragen – dieser Kerl, den sie schon seit ewigen Zeiten kennen, und bei Sonia ist es noch schlimmer, Polly ist ja ihre Einzige.«
    »Und ein solcher Schatz, ihr Augenstern. Ja, je mehr ich vom Leben sehe, desto dankbarer bin ich, dass ich keine Kinder habe.«
    »Zwischen zwei und sechs sind sie wunderbar«, sagte meine Tante ziemlich traurig, »danach, muss ich sagen, fängt dann der Kummer mit den lieben Kleinen an. Und was für Sonia außerdem noch so entsetzlich ist: Sie fragt sich, was während all der Jahre zwischen Polly und Boy gewesen ist. Sie sagt, letzte Nacht habe sie gar nicht schlafen können, weil sie immer daran denken musste, wie es war, wenn Polly behauptet hatte, sie sei beim Friseur gewesen, aber offensichtlich nicht dort gewesen war – solche Dinge –, sie sagt, es mache sie verrückt.«
    »Das braucht es nicht«, sagte ich entschieden. »Ich bin ganz sicher, dass nie irgendetwas vorgefallen ist. Ich kann mich an manches erinnern, was Polly mir erzählt hat, und ich bin sicher, dass sie ihre Liebe zum Lektor immer für eine hoffnungslose Sache gehalten hat. Polly war sehr artig, weißt du, und außerdem hatte sie ihre Tante

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