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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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wenigen Wochen.
    Die Familie ist ein heiliges Ideal unserer Gesellschaft, heiliger als je zuvor. Wer gegen Familien ist, steht von seinem Ansehen her unweit von Rassisten oder Sexisten. Dass die Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland nicht gerade kinderfreundlich eingerichtet ist, ändert daran nichts. Die Idee der Familie ist unumstritten. Und jenseits der JET-Werbung lächeln auf Plakatwänden glückliche Kinder mit ihren ebenso glücklichen Eltern rekordverdächtig um die Wette.
    Für die Werbung ist die romantisch verklärte Familie ein ähnlich festes Sujet wie das romantische Paar. Haushaltsgeräte verkaufen sich schlecht mit Singles. Bei vielen Lebensmitteln sind Kinder unverzichtbar, vor allem beim Frühstück (weil Singles nicht frühstücken?). Und am beliebtesten: der Mittelklasse-Kombi, ein Produkt einzig und allein für Familien und das, was sich dafür hält. Zwar werden Bausparverträge in der Werbung realitätsnah heute vor allem von kinderlosen Paaren geschlossen, und Papa geht auch schon mal alleine mit Klein Jonas zum Arzt, aber das Leitbild der Kernfamilie ist weitgehend unverändert. Und wenn es heute in der Tat kein »Familienfernsehen« mehr gibt, weil jeder etwas anderes guckt, so gucken die Kinder immerhin noch das »Familienprogramm«.
    Patchwork-Familien, in den Großstädten eine sehr häufige Familiengemeinschaft, sind für die Werbung dagegen nach wie vor tabu. Ein schlagendes Beispiel dafür war eine VW-Werbung für das Modell »Sharan«: Ein Vater holt die Tochter bei seiner von ihm getrennt lebenden Frau ab. Der Spot fiel beim Zielpublikum durch. Der Nachfolgespot zeigt einen Mann, der seinen Sharan mit Urlaubsutensilien belädt. Neben ihm halten zwei junge, übermütige Typen, die sich über seine offensichtliche Rolle als Familienvater mokieren. Im selben Moment tauchen seine große schlanke semmelblonde Frau und die ebenso großen schlanken semmelblonden drei Töchter auf und steigen in das Auto. Der
Vater grinst, fährt davon und lässt die verdutzten Jungs zurück: Er hat die geilste aller Familien! Der Spot ist ein großer Erfolg mit ungezählten Youtube- Aufrufen.
    Die Familie trennt die Gesellschaft. Die Zahl der begeisterten Familienfreunde unter denen, die keine haben, ist gering. Familienhasser unter denen, die eine haben, gibt es dagegen auch kaum. Nach der zitierten Umfrage des SPIEGEL von 2008 meint etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung, das Glück läge »darin, Kinder zu haben«. Genauer sind es 56 Prozent der befragten Frauen und 48 Prozent der Männer. Zwar erfährt die Idee der Familie seit längerer Zeit eine Konjunktur – aber eben nur die Idee. Weniger als ein Drittel aller deutschen Haushalte sind Familien. Selbst die mediale Aufwertung der Familie seit den 1980er Jahren zum Lifestyle-Projekt vermochte daran nichts zu ändern. Ihr entgegen stand die Verklärung des geldgierigen Singles zum modernen (Börsen-)Abenteurer in den später 1990ern. Die »Generation Golf« feierte sich selbst als Generation »kinderlos«. Doch so wenig die Lifestyle-Familie einen echten Zuwachs an Familien auslöste, so wenig ermöglichte die Tristesse der verarmten Börsenspieler ihnen die schnelle Rückkehr zu Vater-Mutter-Kind.
    Der Grund dafür liegt in der genannten Bindungsskepsis heutiger jüngerer Menschen. Sie ist enorm, und sie ist nahezu vollkommen unbeeindruckt vom jeweiligen Zeitgeist-Image der Familie. Da nicht die Idee der Familie im Wege steht, sondern nur die passende Chance zur Familiengründung für einen selbst, ändern Imagekampagnen wenig an der Misere. Der Hamburger Sexual- und Paarforscher Gunter Schmidt, neben Sigusch der renommierteste deutsche Sexualwissenschaftler, fand 2002 heraus, dass nur etwa 60 Prozent aller 30-jährigen verheiratet waren. In den 1960er Jahren waren es noch über 90 Prozent gewesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine heute geschlossene Ehe geschieden wird, liegt bei etwa 40 Prozent gegenüber 13 Prozent in den 1960er Jahren. Die Zahl der Kinder pro Paar beträgt in
Deutschland statistisch 1,4 statt früher 2,4. Deutlich mehr als zwei Millionen Paare trennen sich jedes Jahr – stabile Voraussetzungen zur Familienplanung sind das nicht.
    Das Familienbild der Werbung trifft zwar noch immer ein Lebensgefühl und einen vielfach erträumten Lebensstil, aber es basiert auf immer weniger Realität. Die Familie im Deutschland des Jahres 2009 ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Ideal, eine Vorstellung, ein romantischer

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