Liebe
Traum und nicht zuletzt eine Erfindung der Werbung. In der gelebten Praxis ist die ideale Familie ebenso selten wie die ideale Ehe. Daran ändert nichts, dass viele angehende Familien an der kollektiven Phantasie von der Familie teilnehmen und diese weiter nähren. Die Vorstellung von einer liebevollen, harmonischen und Geborgenheit spendenden Gemeinschaft steht fast immer am Anfang und begleitet viele Schwangerschaften. Was andere nicht hinbekommen, will man selbst gleichwohl schaffen.
Im Alltagsleben einer Familie, mit all ihren Kompromissen und Beeinträchtigungen, wird dieses Ideal sehr häufig auf eine harte Probe gestellt. Man bewegt sich zwischen zwei Polen. Entweder man korrigiert nach und nach seine Idealvorstellung von der Familie. Oder man hält am Ideal fest und entfremdet sich in gleichem Maße von seinem Partner, der seine Rolle nicht wie vorgesehen erfüllt.
Junge Familien, bei denen sich die Frauen von ihren Männern trennen, werden häufig nicht trotz, sondern gerade wegen der (unerfüllten) Idee der Familie geschieden. Und je höher das Familienideal, umso größer die Gefahr der Enttäuschung. Dass dieses Problem inzwischen auch verstärkt bei Männern auftritt, die sich ihre Partnerin in der Rolle als Frau und als Mutter anders vorgestellt haben, wird dabei oft vernachlässigt. Dem Klischee nach ist der sich trennende Vater noch immer der rastlose Gen-Egoist und nicht der enttäuschte Familienidealist.
Ganz gleich also, ob man sich trennt oder nicht, halten beide
Partner zumeist am Ideal der Familie fest. Doch da dieses Ideal noch nie in der Geschichte so anspruchsvoll war wie heute, gehen viele Familien gerade deshalb auseinander: Das unerreichte Ideal der »Familie« zerstört die realen Bindungen. Selbst Partner, die durch Untreue, Fahrlässigkeit, Gedanken- oder Verantwortungslosigkeit ihre Familie aufs Spiel setzen, sind meist nicht frei von der Projektion einer Idealfamilie, die sie für sich gerne hätten. Und je seltener eine gute Familie gelingt, umso wertvoller wird sie in der kollektiven Phantasie.
Das sicherste Anzeichen für diese Phantasie ist das »Familie spielen« durch gekauftes Familienzubehör. Wo früher drei Kinder auf die Rückbank eines VW-Käfers passten, lebt der Verkauf von Mittelklassekombis heute von Kleinstfamilien mit einem Kind. Und wer am Prenzlauer Berg in Berlin oder im Kölner Agnesviertel etwas auf sich hält, der liebt zwar nostalgisches Kopfsteinpflaster, doch für das Kleinkind braucht es den topgefederten Rennkinderwagen in der Preisklasse von 400 Euro aufwärts. Ein Wettrüsten, das nicht zuletzt deshalb gefördert wird, weil auch Väter Kinderwagen schieben. Und die Eigentumswohnung wäre natürlich »echt spießig« gewesen, leistete man sie sich nicht für die Geborgenheit von Klein Max und Klein Sophia.
Weniger als ihrem Partner sind viele Paare mit Kindern heute der allgemeinen Idee der Familie verpflichtet. War die Familie für frühere Generationen eine kaum hinterfragte Pflicht, so ist sie heute eine Kür, ein Schaulaufen aus Nostalgie und konventionalisierter Phantasie. So genannte »Stadthäuser«, in Wirklichkeit Reihenhäuser in städtischer Umgebung, wecken großbürgerliche Phantasien und sind in den Großstädten die neue Familiennorm. Die Fertighausfamilie für Individualisten stellt das Maß für die heute am weitesten verbreitete Phantasie eines Zusammenlebens mit Kindern.
Eine tatsächliche Wiedergeburt der Familie ist das nicht. Statistisch nimmt die Zahl der Familien mit langem Zusammenhalt nicht zu, sondern ab. Die reale Familie wird seltener, die pathetisch-romantische
Idee der Familie, wie man sie aus der Werbung, aus Filmen oder den Liedern von Reinhard Mey kennt, wird stärker. Man kann auch sagen: Gerade weil die gute Familie so selten, nahezu unmöglich geworden ist, ist sie heute mit so viel Idealismus befrachtet.
Wir lieben unsere Ideale mehr als früher, aber wir sind weniger bereit, etwas für ihre Pflege zu tun. Was für unsere Liebesromantik gilt, gilt ebenso für unsere Familienromantik. Die Vielzahl an Gefühlen und Erwartungen hat die Familie weniger selbstverständlich gemacht. Romantische Vorstellungen, Sinnsuche und Glückshoffnungen sind keine Ingredienzien für das verlässliche Gelingen einer Familie. In der alltäglichen Praxis verbrauchen sie sich, verblassen im Hickhack um Rechte und Pflichten, in den ungezählten Verhandlungen um Freiheiten und Überlastungen, Freiräume und Zuständigkeiten. Unser
Weitere Kostenlose Bücher