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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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»Liebe«,
ohne den, wie La Rochefoucauld meinte, die Menschen gar nicht auf die Idee kämen, sich zu verlieben. Der Begriff Liebe und unsere heutige romantische Vorstellung davon erzeugen nicht nur den Zuschnitt, sondern auch die Legitimität , uns in einen Menschen verlieben und ihn dauerhaft an uns binden zu wollen. Diese Legitimität ist notwendig und wichtig. Wie ich im 6. Kapitel vorgeschlagen habe, ist unser Bedürfnis nach geschlechtlicher Liebe kein Trieb und keine evolutionäre Notwendigkeit. Vielmehr ist es ein Spandrel, ein Nebenprodukt unserer emotionalen Intelligenz, ähnlich wie unsere Religiosität. Biologisch betrachtet ist zwar die Liebe der Mütter zu ihren Kindern sinnvoll, nicht aber die Liebe zwischen Mann und Frau – sie steht der Optimierung unserer Gene sogar störend entgegen.
    Die Legitimität der geschlechtlichen Liebe innerhalb ihrer gesellschaftlichen Formen und Konventionen erlaubt es uns, den Verlust der hochintensiven Eltern-Kind-Bindung aufzufangen und unser Liebesbedürfnis auf gleichsam »unordentliche« Weise auf einen Geschlechtspartner zu projizieren. Das hat mehrere Folgen. Zum einen bleibt unsere kindliche und frühkindliche Liebeserfahrung ein Leben lang prägend für die »unordentlichen« Projektionen in den Partner unserer geschlechtlichen Liebe. Unsere »Liebeskarte« ist schon gedruckt, bevor wir zum ersten Mal einen Jungen oder ein Mädchen unseres Herzens küssen.
    Die zweite Folge ist: Es gibt keine Neurochemie der geschlechtlichen Liebe, kein romantisches »Modul« im Gehirn. Da geschlechtliche Liebe allem Anschein nach weder biologisch notwendig noch sinnvoll ist, hat sich unser Gehirn auch nicht evolutionär daran angepasst. Die Chemie der körperlichen Lust, die Chemie der seelischen Erregung und die Chemie von Geborgenheit, Zuneigung und Vertrauen begegnen sich in unserem Gehirn nur flüchtig im Hausflur. Diese Erkenntnis durchzieht die Geschichte der abendländischen Kultur als »stummes Wissen« bis zum Beginn des bürgerlichen Zeitalters. Erst hier kommt es
zum »universellen Experiment«, alles in allem haben zu wollen – die Erfindung der »Romantik«. Die Romantik bringt die ordentlich getrennten Bereiche Lust, Leidenschaft und Bindung auf unordentliche Weise zusammen – eine Quadratur unserer Hirnschaltkreise und die bio-psychologische Generalüberforderung der Moderne.
    Sexualstimulationen und Bindungsstimulationen werden nicht nur kurzgeschlossen, dass die Funken sprühen, sondern die »romantische Liebe« avanciert zur allgemeinen legitimen Erwartungshaltung an einen geschlechtlichen Partner. Liebe, Verliebtheit und Sexualität – heute denken wir alles drei gerne als eine Einheit zusammen, so als wäre die romantische Liebe die Normalität und nicht die Ausnahme. Wir glauben daran wie in früheren Zeiten an den lieben Gott. Und noch immer träumen wir davon, diesen letzten verbliebenen heiligen Weg mit einer Familienkutsche zu befahren, ohne dass ihre Räder den erleuchteten Pfad aufwühlen und vermatschen.
    In der Realität dagegen fliegt alles immer wieder auseinander: Für die Liebe im Sinne von Bindung und Verständnis mag es gut sein, wenn sich im Leben der Partner nicht allzu viel Grundlegendes ändert; für die Liebe als Anspruch auf Anregung und Aufregung ist nichts besser als eine Beziehung des Wechsels und der ständig neuen Anforderungen an den Partner. Der Partner in einer turbulenten Beziehung sehnt sich nach Konstanz. Der Partner in einer ruhigen Beziehung nach Abwechslung und Aufregung – jedenfalls soweit es ihm noch um »Liebe« geht und nicht nur um Partnerschaft. Beziehungen sind also entweder zu heikel oder zu langweilig – dazwischen soll das liegen, was man »wahre Liebe« nennt. Biologisch betrachtet wünschen wir uns dabei ein Konzert aus Violinen, E-Gitarren, Harfen und Pauken. Wir wollen die Stürme des Dopamins und die Ruhe des Serotonins. Wir wollen die leise Melodie oxytocinaler Geborgenheit und den Trommelwirbel des Phenylethylamins.
    So weit der Traum. In unserem Alltagsleben wissen wir, dass
das Leben kein Wunschkonzert ist. Mehr und mehr Menschen verhalten sich dazu auf die bekannte, unserer Zeit entsprechende Weise. Wenn Anspruch und Realität nicht zusammenpassen, entflechten wir unser Bedürfnis nach Funktionen und betreiben neurochemische und psychologische Arbeitsteilung: Wir kochen zuhause, flirten im Internet, suchen uns spezielle Sexpartner und spüren Zuneigung und Geborgenheit bei unseren besten

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