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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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und Familien heute ist, umso größer ist das Potential möglicher Konflikte. Ebenso gewiss aber ist, dass eine durchschnittliche Beziehung oder Ehe noch nie so gut über die Bedürfnisse
des Gegenübers aufgeklärt war wie heute. Was meine Großeltern niemals ansprachen, fordern wir heute ein, Männer wie Frauen. Wurde früher über die Liebe vor allem gesungen und geschrieben, so müssen sich die Ehepartner darüber heute tatsächlich unterhalten. Auch wenn der eine, oder auch mal die eine, sich damit noch immer schwertut.
    Ein Ausblick? Wir sind heute gut informiert über die Umstände und Folgen der Liebe. Aber wir sind noch immer nicht gut informiert über die Umstände und Folgen dieser Information. Was wird aus einer Liebe, die so viel von sich weiß? Ist sie noch in Reinform genießbar, oder müssen wir ihr stets einen Schuss Ironie beimischen? Die moderne Welt hat sich vom religiösen Sinn nahezu befreit. Seligkeit, Jenseits im Diesseits, paradiesische Zustände müssen selbst hergestellt werden – von Menschen, die dies als selbst gemacht durchschauen. Begünstigt wurden und werden sie dabei von den paradiesnahen Umständen von Wohlstand und Freizeit. Ihre Dauer in der westlichen Welt jedoch ist kein Naturgesetz. Das Experiment der kulturellen Neotenie mit ihrer fortschreitenden Selbstvergewisserung der Menschen muss nicht unbegrenzt weitergehen. Als die Demokratie in Athen ihren Höhepunkt erreichte und Philosophen die Selbstaufklärung des Menschen erfanden, brach ihre Kultur in wenigen Jahrzehnten zusammen.

Das viereckige Krokodil
    Dieses Buch hat mit vielen Tieren begonnen, und es soll auch mit Tieren enden. »Wenn er beim Menschen nicht weiterweiß, dann erzählt er immer etwas über seltsame Tiere«, pflegt mein Stiefsohn David über mich zu sagen. Auch wenn ich in diesem Buch versucht habe, die eiligen Tiervergleiche der evolutionären Psychologen nach Kräften zu entzaubern, so soll es denn diesmal
tatsächlich so sein, wie er sagt. In Alexander Kluges Film Die Artisten unter der Zirkuskuppel: ratlos aus dem Jahr 1967 gibt es eine schöne kleine Geschichte: Ein Mann kauft ein Krokodil und dazu ein Aquarium. Das Krokodil ist klein und das Aquarium auch. Der Verkäufer warnt den neuen Besitzer, dass das Krokodil sehr schnell wächst. Schon bald würde das Aquarium zu klein für das Tier sein. Der neue Besitzer des Krokodils aber zieht es vor, den Rat zu ignorieren. Das Krokodil wächst, aber seine Behausung bleibt unverändert klein und beengt. Irgendwann ist das Krokodil ganz und gar in das Aquarium hineingewachsen. Es hat sich angepasst und ist komplett viereckig geworden.
    Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich erinnert diese Geschichte an eine Liebesbeziehung. Man gibt ihr einen Rahmen, in dem sie gedeihen kann. Sie wächst und entfaltet sich, wird vielschichtiger und komplizierter. Aber zumeist wächst der Rahmen nicht mit. Dann entspricht so vieles nicht mehr den ursprünglichen Vorstellungen, und man macht sich wechselseitig Vorwürfe. Doch wer hat hier eigentlich enttäuscht: das Krokodil oder das Aquarium?
    Gewiss, wird man im Nachhinein sagen, war das Krokodil das falsche Tier für seine Behausung. Oder aber die Behausung war eben die falsche für das Tier. Doch auch die modernsten »Psychotope«, wie die Tiergärtner ihre aus naturidentischen Baustoffen gestalteten Zooanlagen nennen, gewährleisten keine dauerhaft glücklichen Krokodile. Und kein Rahmen garantiert auch uns Menschen eine dauerhaft stabile Befindlichkeit und Intimität – auch nicht die humanen Psychotope der neuzeitlichen Seele, die Menschen für artgerecht halten: Erlebnisräume zwischen Ikea-Regal und Designersofa, Zeitungsständer und Dunstabzugshaube, Reihenhauskolonien und Wohntürmen, die Freiganggehegen der Erlebnisgastronomie und Fastfoodketten, Fun-Parks und Stadtwäldern, Disneylandschaufenstern und Spaßtempeln.

    Wissen wir denn überhaupt selbst, was wir wollen, was tatsächlich gut für uns ist? Und suchen wir tatsächlich, wenn wir uns parfümieren und stylen und tummeln in den modernen Korallenriffen des Nachtlebens mit ihren Clownsfischen und Paradiesbarschen, Netzmuränen und Hammerhaien, nicht etwa nach uns selbst, sondern, wie Umberto Galimberti es sich wünscht, »nach jenem anderen, der imstande wäre, unsere Autonomie zu durchbrechen, unsere Identität zu verändern und sie in ihren Abwehrmechanismen zu erschüttern«? 128
    Die Antwort ist zweischneidig und widersprüchlich. Das Tier mit dem

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