Liebe
cleverer Geschäftsmann oder eine Geschäftsfrau. Sein Einfluss auf die Zunft ist so immens, dass der evolutionäre Psychologe David Buss das menschliche Sexualverhalten ganz selbstverständlich in den Wirtschaftswissenschaften ansiedelt: »In jedem Ökonomie-Grundkurs lernen wir, dass niemand, der wertvolle Ressourcen besitzt, diese nach dem Zufallsprinzip verteilt. Da die Frauen in unserer evolutionären Vergangenheit eine extrem hohe Investition als Folge des Geschlechtsaktes riskieren, begünstigte die Evolution die Frauen, die ihren Partner sorgfältig auswählten. Unsere weiblichen Vorfahren mussten extrem hohe Kosten tragen, wenn sie nicht wählerisch genug waren.« 22
Vom fragwürdigen Wahrheitsgehalt dieser Behauptung wird im nächsten Kapitel ausführlich die Rede sein. Doch glaubt man Trivers und den evolutionären Psychologen, so hat unser Sexualverhalten eigentlich nur eine ökonomische Bedeutung. Kurz gesagt: Es geht um nichts anderes als um die Erträge, die die elterliche Investition abwirft. In dieser Perspektive sind alle Lebewesen im Grunde ihres Herzens – sprich: ihrer Gene – Kapitalisten: Sie wollen sich Vorteile (beim anderen Geschlecht) sichern, Ressourcen erschließen, so wenig wie möglich dabei investieren und hohe Erträge erwirtschaften. Und das, so die Theorie, sei der Motor der Evolution! Egoismus und Kapitalismus treiben sie unausgesetzt vorwärts, und alles menschliche Verhalten ließe sich daraus ableiten. »Von Natur aus« sind wir Raffer und Trickser, Investmentbanker und Gen-Spekulanten, Anteilseigner an den Genen unserer Kinder usw. Unser ganzes Verhalten – und damit auch die Liebe – hätte hier ihren Ursprung, und nur von diesem Ursprung aus erhalten sie ihren Sinn und ihre tiefere Bedeutung. Was uns erfreut und berauscht, stimuliert und verzückt, ist nichts als ein Blendwerk, geboren aus dem versteckten Wirken einer bösen Triebfeder. Egoismus und Kapitalismus sind unsere wahre Natur, und deshalb finden wir sie auch überall in der Welt wieder.
Es sollte an dieser Stelle vielleicht einschränkend gesagt werden, dass von allen Ideen der evolutionären Psychologie die Theorie der Geschlechter und ihres Verhaltens das umstrittenste Teilgebiet ist. Bei der Erklärung von menschlicher Aggression zum Beispiel leistet die Disziplin weitaus bessere Dienste. Doch evolutionäre Psychologen nehmen sich selbst durchaus ernst, wenn sie versuchen, gesellschaftliche Geschlechterstereotype zu angeborenen und universellen Merkmalen zu erklären und damit letztlich zu Schauplätzen von genetischen Schlachten. Mit den zahlreichen Beweisen, die sie dafür in den letzten 30 Jahren gesammelt haben, wollen wir uns nun beschäftigen.
3. KAPITEL
Betuchte Würger, standhafte Kröten
Was Frauen und Männer angeblich wollen
Investitionen
Der Graue Würger ist kein Titel einer Edgar-Wallace-Verfilmung, sondern ein drahtiger Geselle aus der Familie der Sperlingsvögel. Als Brutvogel lebt er in fast ganz Europa, in Nordamerika und in den Steppen und Hochgebirgen Zentralasiens. Wenn es kälter wird, zieht er sich zumeist tiefer in den Süden zurück. Der Graue Würger frisst gerne Mäuse und Spitzmäuse, aber auch kleinere Vögel und größere Insekten wie Hummeln oder Käfer. Bei schönem Wetter erlegt er seine Beute in der Luft, bei schlechter Sicht dagegen schreitet oder hüpft er hungrig über den Boden. Nach den Mahlzeiten reinigt er den Schnabel durch seitliches Reiben an einem Ast. Auf den ersten Blick ist er ein ganz normaler Vogel. Für die evolutionären Psychologen ist er ein Superstar.
Graue Würger sind Aggressionsbolzen, wie es im Tierreich nur wenige andere gibt. Sie erlegen Beutetiere bis zu ihrer eigenen Körpergröße, strotzen vor Drohgebärden, kreischend fächern sie den Schwanz und sträuben ihr Gefieder. Territorien werden wütend verteidigt, und selbst gestandene Mäusebussarde und Milane geben klein bei, wenn das Rumpelstilzchen der Vogelwelt sie attackiert. Seine Beute aber spießt der Würger auf die Dornen der Schlehen und Weißdornbüsche auf oder klemmt sie dekorativ in die Astgabel. Hat ein Mann ein verführerisches Weibchen entdeckt, beginnt er mit der Flugschau. Er schraubt sich auffallend
in die Luft und lässt sich anschließend elegant wieder zu Boden gleiten. Deutlich verweist er auf seine aufgespießte Beute, lädt zur Besichtigung ein und wirbt um die Vorzüge seiner Speisekammer. Hat er überzeugt, gibt das Weibchen nach und nach seine Selbständigkeit
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