Liebe
auf und liefert sich schließlich völlig seiner Fürsorge aus. Dafür nimmt sie in Kauf, dass er von nun an immer höher im Geäst sitzt als sie, den Bauch vorgereckt. Das Weibchen aber zittert geduckt im Nest und bettelt darum, dass ihr Imponiergatte sie mit Nahrung versorgt.
Was evolutionären Psychologen an dem Wirtschaftswundervogel gut gefällt, ist leicht zu erraten. Wenig überraschend fanden israelische Zoologen in den 1980er Jahren heraus, dass es bei der Partnerwahl des Weibchens vor allem auf eines ankam: auf die gut gefüllte Speisekammer. Je voller und dekorativer der Spießplatz nicht nur mit Beute, sondern auch mit Zierrat, wie etwa Federn oder Stofffetzen, gefüllt war, umso begehrenswerter erschien ihnen das Männchen. Würger mit dürftigem Arsenal schnitten offensichtlich schlechter ab als gut herausgeputzte Exemplare mit reichem Vorrat. Forscher wie David Buss, sind begeistert: »Die Weibchen prüfen alle Männchen und entscheiden sich dann für das Männchen mit den größten Vorräten.« 23
Na ja, und ist es bei den Menschen-Weibchen nicht im Grunde genommen ganz genauso? Schielen sie nicht in aller Welt stets nach dem optimalen Versorger? Was den Würgerinnen recht ist, sei auch den Weibchen des Menschen billig – ein Verhalten, ausgeprägt in den Tiefen unserer biologischen Entwicklungsgeschichte. Die Habsucht des Weibes hat also eine lange Geschichte. Und Menschenfrauen sind in ihren Herzen Graue Würgerinnen, das sitzt nun mal in ihnen drin. Egal wie der Mann aussieht, wie nett oder grob er ist, stets wird der mit den meisten Trophäen und Ressourcen ausgewählt. »Mit diesem Beispiel wird insinuiert«, schreibt der erboste Wissenschaftsphilosoph John Dupre, »dass Männer, die bereitwillig ein nettes Vororthaus mit hübschen Vorhängen und einer gut gefüllten
Speisekammer anbieten, attraktiver für das menschliche Weibchen sind.« 24
Nun haben die evolutionären Psychologen mit ihrer fast guten Idee mal wieder Pech. Denn was noch immer im Lehrbuch steht, ist in der Biologie inzwischen so gut wie vom Tisch. Im Jahr 2004 veröffentlichten die beiden Zoologen Piotr Tryjanowski und Martin Hromada das Ergebnis ihrer langjährigen Untersuchungen. Danach ist völlig klar, dass die Würger-Weibchen nicht Schlange stehen, um »alle Männchen« zu mustern und zu prüfen. Ein paar Stichproben tun es auch, ausgewählt nach dem Zufallsprinzip. Und dass sich in jedem Fall die vollsten Speisekammern durchsetzen – auch dafür gibt es keinen Beleg. Sicher ist nur, dass eine zuvor völlig geplünderte Speisekammer ihren Besitzer uninteressant macht. Zu allem Überfluss fanden die beiden Forscher noch heraus, dass Graue Würger durchaus nicht immer monogam sind. Die fettesten Brocken offerierten die Männchen hinterrücks einigen fremden Weibchen, während ihre Gattinnen auf den Eiern hockten. Und auch mit gelegentlichen Kopulationen verpaarter Weibchen mit Männchen aus Nachbarrevieren sei stets zu rechnen.
Graue Würgerinnen sind allem Anschein nach weitaus menschlicher, als dass Menschen-Frauen dem übertriebenen Klischee der habgierigen Grauen Würgerin entsprechen. Es ist also nicht viel dran an dieser durch ungezählte Wiederholungen festgetrampelten Wahrheit. Ganz abgesehen einmal von der Frage, warum unter Millionen von Tierarten ausgerechnet der Graue Würger unser Vetter im Geiste sein soll. Denn andere Tiere, andere Sitten, auch unter Vögeln. Bei Greifvögeln zum Beispiel sind die größeren Weibchen die wichtigeren Versorger in der Brutzeit, ohne dass wir daraus Rückschlüsse auf den Menschen ziehen sollten. Und unsere nahen Verwandten, die Menschenaffen, haben noch nicht einmal Speisekammern. Doch bei Bedarf zieht der evolutionäre Psychologe schnell einen abwegigen Vogel aus dem Hut, auch wenn andere Tiere ein ganz anderes
Bild zeigen. Mit gleichem Recht wie mit Würgern könnte man das menschliche Paarungsverhalten auch mit Schwarzen Witwen und Gottesanbeterinnen vergleichen, bei denen das Weibchen das Männchen nach dem Paarungsakt frisst. Oder mit Krokodilen, bei denen Männchen die eigenen Kinder vertilgen, oder mit manchen Harnischwelsen, wo das Männchen die Brut gegen das Weibchen verteidigt, oder mit maulbrütenden Buntbarschen. Und schon viele sehr nahe verwandte Tiere unterscheiden sich grundsätzlich bei ihrer Rollenverteilung.
Mit dem Grauen Würger als geistigem Verwandten des Menschen lässt sich wenig Staat machen. Aber natürlich geht es den evolutionären Psychologen
Weitere Kostenlose Bücher