Liebe
diesen Befund. Eine Reihe von Paaren stellte sich zur Verfügung, um das Volumen des Rückflusses zu messen. Und siehe da: Wenn eine Frau in der Minute vor der Ejakulation des Mannes einen Orgasmus hatte oder aber innerhalb der folgenden sechzig Minuten, so floss weniger Sperma wieder aus. Das Fazit der evolutionären Psychologen ist damit klar: Der weibliche Orgasmus wurde von der Natur erfunden, damit die Frau das wertvolle Sperma des genetisch verführerischsten Männchens in sich »hineinpumpt«. Die Folge für die Gesellschaft sei bestürzend: Durchschnittlich jedes fünfte bis sechste Kind in den USA stamme nicht von seinem mutmaßlichen Vater.
Man muss sich wohl nicht die Frage stellen, unter welchen Bedingungen diese Versuche stattfanden, und auch nicht nach der Psyche von Paaren fragen, die sich für solche Experimente hergaben. Interessanter ist eher, darauf hinzuweisen, dass diese
Versuche, so wie sie stattfanden, keinerlei Auskünfte geben über das weibliche Untreueverhalten. Vollends wackelig aber wird die Theorie, wenn man auf ein wichtiges Detail blickt. Ist es tatsächlich richtig, dass Frauen bei One-Night-Stands besonders leicht einen Orgasmus bekommen? Und stimmt es, dass die genetisch interessantesten, also die schönsten und mutmaßlich gesündesten Männer, wirklich die besten Liebhaber sind, die eine Frau besonders schnell und geschickt zum Orgasmus bringen? Liegen optische Qualitäten und sexuelle Künste tatsächlich so nah beieinander? Eine schlichte Weisheit! Bei Licht betrachtet, ist sie eher falsch. Und die erotischen Kunstfertigkeiten des Mannes verlaufen weder proportional zu seinem Aussehen noch zu seiner Gesundheit noch zu seinem Testosteronspiegel.
Gleichwohl ist der »Krieg der Spermien« geradezu eine Obsession angelsächsischer Forscher. Immer wieder suchen sie Indizien dafür, wie sich die besseren Samenfäden gegen ihre Konkurrenz durchzusetzen suchen. Taktiken werden erklärt und Strategien benannt. Forscher der University of Manchester meinen sogar, dass sich die Spermien des Mannes untereinander gezielt bekämpfen und abtöten: Manche machen sich dick und blockieren damit die Konkurrenz; andere versorgen sich mit chemischen Kampfstoffen. Obwohl der Kampf der Spermien untereinander stattfindet, werten die Forscher diese Bewaffnung als ein Indiz für den Kampf gegen die Spermien anderer Männer, die möglicherweise mit weniger aggressiven Kriegern ausgerüstet sind. Als vermeintliche Forschungsergebnisse erregen solche Theorien gerne die Aufmerksamkeit der Massenmedien. Für die meisten Fachkollegen dagegen handelt es sich hierbei um eine kindliche Männerphantasie und wissenschaftliche Science-Fiction. Was die Forscher in Manchester für einen Kampf halten, ist für andere lediglich eine fehlgeleitete Befruchtungsreaktion, wenn ein Spermium statt auf eine Eizelle irrtümlich auf ein anderes Spermium trifft. Von einer besonderen Spezialisierung der Spermien in verschiedene »Kriegertypen« weiß die Wissenschaft
ohnehin nichts; ein Spermium sieht nahezu völlig identisch aus wie das andere.
Das Ärgerliche an solchen mehr oder weniger unterhaltsamen Phantasien ist das, was sie beweisen sollen: dass in der menschlichen Sexualität von Anfang an ein Krieg tobt, ein gnadenloser Wettkampf aller gegen alle. Als besonders entwickeltes biologisches Wesen hat der Mensch diesen Kampf ums Dasein allerdings artgerecht verfeinert: zu einem ökonomischen Tauschgeschäft der Gene und der Emotionen. Kriegstheorie, Wirtschaftstheorie und evolutionäre Psychologie sind auf diese Weise untrennbar miteinander verwoben. Der Krieg aller gegen alle und der Krieg der Geschlechter untereinander sind biologisch programmierte Verhaltensweisen in einer zutiefst kriegerischen Welt. Allein ein paar wirtschaftliche Zweckbündnisse sind den Geschlechtern möglich – im Dienste der egoistischen Gene versteht sich. Selbst der weltkluge US-amerikanische Evolutionsbiologe Jared Diamond – von Haus aus ein Vogelexperte – sieht beim Menschen einen naturgegebenen »Kampf der Geschlechter«, und »dieser Kampf ist weder ein Witz noch ein außergewöhnlicher Zufall.... Diese grausame Tatsache ist eine der Grundursachen des menschlichen Elends.« 25
Ob es ein Elend ist, dass die Geschlechter mitunter verschiedene biologische Interessen haben können, oder ob diese »grausame Tatsache« das Leben des Menschen vielleicht vor gähnender Langeweile behütet, sei einmal dahingestellt. Liegt der Reiz, den die
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