Liebe
nicht um den Vogel, sondern ums Prinzip. Was die Graue Würgerin beweisen soll, ist, dass es für das Weibchen im Tier- und Menschenreich vor allem um eines geht: um eine lohnende Investition.
Urheber der Idee der Fortpflanzung als einer »Investition« war, wie im vorherigen Kapitel beschrieben, in den 1970er Jahren Robert Trivers. In den 1980er Jahren präzisierte er die Tragweite dieser Idee für den Menschen. Danach unterscheiden sich Mann und Frau durch ein grundsätzlich unterschiedliches »Investitionsrisiko«. Der Grund dafür ist schlicht und einfach. Eine Frau produziert während ihres Lebens nur 400 reife Eizellen. Ein Mann dagegen kann es auf an die 300 Millionen Spermien bringen. Eine Frau zu schwängern, ist für einen Mann deshalb ein biologisch relativ kleiner Akt: ein paar geopferte Spermien und fertig. Theoretisch kann er jetzt wieder seines Weges ziehen und ein neues Ziel seiner Vermehrungsfreude finden. Für Frauen aber sieht die Sache weitaus dramatischer aus. Sie besitzen viel weniger »Rohmaterial«, und wenn die Eizelle tatsächlich befruchtet wurde, darf sie mit einer Schwangerschaft von neun Monaten rechnen. In dieser Zeit ist sie für die Fortpflanzung außer Gefecht gesetzt und für kein weiteres Spermium empfänglich.
In Trivers’ wirtschaftswissenschaftlicher Ausdrucksweise heißt
dies: Das kleinste notwendige Investment der Frau ist deutlich höher als das kleinste notwendige Investment des Mannes. Es steht einfach mehr auf dem Spiel. Die Strategie unserer Fortpflanzung ist demnach bei beiden Geschlechtern eine ganz verschiedene. Und die Psychologie bei der Auswahl von Sexualpartnern ebenfalls. Hat Trivers recht, so sind Männer prinzipiell immer und überall bereit, Sex zu haben. Frauen dagegen können eigentlich nur an außerordentlich guten Gelegenheiten interessiert sein. Sie müssen einen wirklich vorzüglichen Mann finden, der entweder über spektakulär gute Gene verfügt oder aber auf optimale Weise verspricht, genau der Richtige zu sein für die Betreuung der Kinder. Beides zusammen übrigens, so Trivers weiter, sei – wie wir noch sehen werden – eigentlich unmöglich.
Unser Streben nach optimaler Fortpflanzung: Als »Drang nach Geltung« bezeichnete im 18. Jahrhundert der französische Naturforscher George-Louis Buffon den Sexualtrieb. Es war die Zeit, in der das Bürgertum an die Macht drängte, um seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Im 19. Jahrhundert übertrug Charles Darwin das Bild vom »Kampf ums Dasein« in die Fortpflanzungs-Biologie. Der machtbewusste englische Empirestaat der Königin Viktoria stand in Blüte, eroberte sich Kolonien und gierte nach Bodenschätzen in aller Welt. Und gegen Ende des 20. Jahrhunderts spricht Robert Trivers von »sexuellen Transaktionen« zwischen den Geschlechtern. Es ist die Zeit der globalisierten Finanzwelt der New Economy mit ihren Marktgesetzen und ihrem allgegenwärtigen Konsumverhalten. Diese Parallelen mögen nicht beabsichtigt sein, aber sie sind auch nicht zufällig.
»Wir alle«, meinte die englische Schriftstellerin George Eliot, »empfangen unsere Gedanken in bildlicher Einkleidung und handeln schicksalhaft unter ihrer Leitung.« In genau diesem Sinne regiert in den gegenwärtigen Erklärungen der evolutionären Psychologie die Ökonomie. Sexualverhalten ist Investition mit unterschiedlichem Risikokapital. Selbst uralte biologische
Vorgänge, wie zum Beispiel der weibliche Orgasmus, erhalten von hier aus ihren Sinn. Da Fortpflanzung unter Menschen auch funktioniert, ohne dass Frauen dabei einen Orgasmus bekommen, muss es einen anderen – einen ökonomischen – Grund für diese aus biologischer Perspektive überflüssige Erregung geben.
Die Theorie, die Trivers der Fachwelt in den 1980er Jahren zu diesem Thema präsentierte, zeigt die Frau als eine abgefeimte Machiavellistin: Da der für die Brutpflege beste Mann selten wirklich erregend ist, schleicht sich die Frau an ihren fruchtbaren Tagen gerne aus dem Haus, um sich einen genetischen Helden zu suchen. Mit diesem teilt sie das Bett und hat – wen wundert es – viel leichter einen Orgasmus als mit dem lieben und vertrauten Gatten. Damit der tolle Liebhaber auch tatsächlich der Vater ihrer Kinder wird, hat sich die Natur etwas einfallen lassen: Hat die Frau beim Sex einen Orgasmus, so saugt sie besonders viel Sperma in sich ein, jedenfalls deutlich mehr, als wenn sie keinen hat. In den 1990er Jahren bestätigte ein US-amerikanisches Forscherteam
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