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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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»Darf ich das?«
    »Natürlich«, antwortete ich.
    Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her.
    »Es ist seltsam«, sagte ich, als wir eine der Querstraßen zum Mariaberg hinauf nahmen. »Ich bin so gerne mit dir zusammen, trotzdem schaffe ich es nicht, etwas zu sagen. Es ist, als würdest du mich verstummen lassen.«
    »Das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte sie und warf mir einen kurzen Blick zu. »Das macht nichts. Mir jedenfalls nicht.«
    Warum nicht?, dachte ich. Was willst du mit einem Mann, der nichts sagt?
    Es wurde erneut still. Das Geräusch unserer Schritte auf dem Straßenpflaster wurde von den Häusern zu beiden Seiten verstärkt.
    »Das war ein schöner Abend«, sagte sie.
    »Ein bisschen seltsam«, erwiderte ich. »Es ist doch der 17. Mai, das Datum liegt mir offenbar im Blut, mir hat jedenfalls die ganze Zeit etwas gefehlt. Warum feiert hier keiner?«
    Sie strich mit der Hand flüchtig über meinen Oberarm.
    Wollte sie mir damit sagen, dass es nichts machte, wenn ich dumme Dinge sagte?
    Wir blieben unterhalb meiner Wohnung auf der Straße stehen und sahen uns an. Ich trat einen Schritt vor und umarmte sie.
    »Dann bis morgen«, sagte ich.
    »Ja«, sagte sie. »Gute Nacht!«
    Ich blieb hinter der Tür stehen und trat im nächsten Moment wieder hinaus, ich wollte sie ein letztes Mal sehen.
    Allein mit sich ging sie die abfallende Straße hinunter.
    Ich liebte sie.
    Was zum Teufel tat dann so weh?
     
    Am nächsten Tag schrieb ich wie üblich, lief wie üblich, saß draußen und las wie üblich, diesmal in dem Gartencafé Lasse i Parken, direkt gegenüber der Insel Långholmen. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren, dachte immer nur an Linda. Ich freute mich darauf, sie zu sehen, es gab nichts, was ich lieber wollte, aber ein Schatten hing über diesen Gedanken, im Gegensatz zu allen anderen, die ich mir in diesen Tagen machte.
    Warum?
    Wegen dem, was damals passiert war?
    Natürlich. Aber ich wusste nicht, was es war, es war nur so ein Gefühl, das ich hatte, und es wollte mir nicht gelingen, es zu packen und in einen klaren Gedanken zu verwandeln.
    Das Gespräch verlief an diesem Abend ähnlich zäh, und diesmal zog es auch sie herunter, denn die Begeisterung und die Fröhlichkeit vom Vortag waren fast völlig verschwunden.
    Nach einer Stunde standen wir auf und gingen. Auf der Straße fragte sie mich, ob ich sie auf eine Tasse Tee nach Hause begleiten wolle.
    »Gern«, sagte ich.
    Als wir die Treppe hinaufstiegen, erinnerte ich mich plötzlich an das Intermezzo mit den polnischen Zwillingen. Es war
eine gute Geschichte, aber ich konnte sie nicht erzählen, sie enthüllte zu viel von der Komplexität meiner Gefühle für sie.
    »Hier wohne ich«, sagte sie. »Setz dich, ich mache uns schnell den Tee.«
    Es war eine Einzimmerwohnung, am einen Ende stand ein Bett, am anderen ein Esstisch. Ich zog die Schuhe aus, behielt meine Jacke jedoch an und setzte mich auf die äußerste Stuhlkante.
    Sie summte in der Küche.
    Als sie kurz darauf eine Tasse Tee vor mir abstellte, sagte sie:

»Ich glaube, ich fange an, dich lieb zu gewinnen, Karl Ove.«
    Lieb zu gewinnen? War das alles? Und das sagte sie mir einfach so?
    »Ich mag dich auch sehr«, erwiderte ich.
    »Tust du das?«, sagte sie.
    Es entstand eine Pause.
    »Meinst du, wir können etwas anderes werden als Freunde?«, sagte sie nach einer Weile.
    »Ich möchte, dass wir Freunde sind«, antwortete ich.
    Sie sah mich an. Dann senkte sie den Blick, entdeckte offenbar die Tasse, hob sie an die Lippen.
    Ich stand auf.
    »Bist du mit Frauen befreundet?«, sagte sie. »Ich meine, die nur Freunde sind?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Oder doch, als ich ins Gymnasium ging. Aber das ist natürlich schon lange her.«
    Sie sah mich wieder an.
    »Ich glaube, ich gehe dann mal«, sagte ich. »Danke für den Tee.«
    Sie stand auf und begleitete mich zur Tür. Ich trat einen Schritt in den Hausflur hinaus, bevor ich mich zu ihr umdrehte,
um ihr so keine Möglichkeit zu geben, mich zu umarmen.
    »Mach’s gut«, sagte ich.
    »Mach’s gut«, sagte sie.
     
    Am nächsten Vormittag ging ich zum Lasse i Parken, legte einen Briefblock auf den Tisch und begann, ihr einen Brief zu schreiben. Ich schrieb, wer sie für mich war. Ich schrieb, wer sie gewesen war, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte, und wer sie jetzt war. Ich schrieb über ihre Lippen, die über die Zähne glitten, wenn sie eifrig wurde, ich schrieb über ihre Augen, wenn sie leuchteten und

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