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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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möglich wurde, durfte sie ihre Medikamente nicht mehr nehmen, so dass sie diesen Schritt vorbereiten konnte; die Ärzte sträubten sich, aber ihre Therapeutin unterstützte sie, und letzten Endes war es ihre Entscheidung.
    Darüber sprachen wir praktisch täglich.
    Jetzt sagte ich, dass wir die Sache vielleicht noch ein bisschen aufschieben sollten.
    Abgesehen vom Licht des Fernsehers, der ohne Ton in der Zimmerecke lief, war es vollkommen dunkel in der Wohnung. Hinter den Fenstern stand die Herbstdunkelheit wie ein See.
    »Sollen wir das nicht vielleicht noch ein wenig aufschieben?« , fragte ich.
    »Was sagst du da?«, sagte Linda und starrte mich an.
    »Wir können doch noch etwas warten, ein wenig abwarten. Du kannst deine Ausbildung abschließen…«
    Sie stand auf und schlug mir, so fest sie nur konnte, mit der flachen Hand ins Gesicht.
    »Niemals!«, schrie sie.
    »Was tust du denn da?«, sagte ich. »Bist du jetzt völlig übergeschnappt? Du schlägst mich? «
    Meine Wange brannte, sie hatte wirklich fest zugeschlagen.
    »Ich gehe jetzt«, sagte ich, »und komme nie wieder. Vergiss es einfach.«
    Ich wandte mich um, ging in den Flur und zog den Mantel vom Kleiderhaken.
    Sie weinte hinter mir bitterlich und schluchzend.
    »Geh nicht, Karl Ove«, sagte sie. »Verlass mich jetzt nicht.«
    Ich drehte mich um.
    »Glaubst du eigentlich, du kannst alles machen, was du willst? Glaubst du das?«
    »Verzeih mir«, sagte sie. »Aber bleib. Nur heute Nacht.«
    Ich stand regungslos in der Dunkelheit vor der Tür und sah sie zögernd an.
    »Okay«, sagte ich. »Ich werde heute Nacht hierbleiben. Aber dann haue ich ab.«
    »Danke«, sagte sie.
    Am nächsten Morgen wachte ich gegen sieben Uhr auf, verließ die Wohnung, ohne zu frühstücken, und ging in meine, die ich immer noch hatte. Dort nahm ich eine Tasse Kaffee auf die Dachterrasse mit, saß dort, rauchte und blickte auf die Stadt hinaus, während ich überlegte, was ich jetzt tun sollte.
    Ich konnte nicht mit ihr zusammen sein. Es ging einfach nicht.
    Ich rief Geir auf dem Handy an, ob er zu einem Spaziergang nach Djurgården mitkommen wolle, es sei ziemlich wichtig, ich müsse mit jemandem sprechen. Sicher, er könne mitkommen, er müsse vorher nur noch ein paar Sachen erledigen, wir könnten uns an der Brücke hinter dem Nordischen Museum treffen und von da aus bis zum Ende der Halbinsel gehen, dort gebe es ein Restaurant, in dem wir zu Mittag essen könnten. Das taten wir, dort gingen wir, unter dem mauergrauen Himmel, zwischen entlaubten Bäumen, auf einem Weg, der von gelben, roten und braunen Blättern bunt gesprenkelt war. Ich erwähnte mit keinem Wort, was passiert war, es war zu demütigend; dass sie mich geschlagen hatte, konnte ich niemandem sagen, denn was machte es aus mir? Ich sagte nur, wir hätten uns gestritten, ich wüsste nicht mehr, was ich tun sollte. Er meinte, ich solle auf meine Gefühle hören. Ich erwiderte,
dass ich nicht wisse, was ich fühlte. Er entgegnete, natürlich wisse ich das.
    Aber das stimmte nicht. Es gab zwei verschiedene Sätze von Gefühlen für sie in mir. Der eine sagte, du musst gehen, sie verlangt zu viel von dir, du wirst deine gesamte Freiheit verlieren, all deine Zeit auf sie verwenden, und wie soll es dann mit allem anderen weitergehen, was dir wichtig ist, deiner Selbständigkeit und deinem Schreiben? Der zweite sagte, du liebst sie, sie gibt dir etwas, das dir kein anderer Mensch geben kann, und sie weiß, wer du bist. Haargenau, wer du bist. Beide Sätze trafen zu, waren jedoch miteinander unvereinbar, der eine schloss den anderen aus, und umgekehrt.
    An diesem Tag war der Gedanke zu gehen stärker.
    Als Geir und ich in der U-Bahn Richtung Västertorp standen, rief sie an und fragte, ob ich an diesem Abend zum Essen zu ihr kommen wolle, sie habe Krebse gekauft, mein Leibgericht. Ja, antwortete ich, wir müssen uns ohnehin unterhalten.
    Ich klingelte, obwohl ich einen Schlüssel hatte, sie öffnete und sah mich zurückhaltend lächelnd an.
    »Hallo«, sagte sie.
    Sie trug ihre weiße Bluse, die ich so mochte.
    »Hallo«, sagte ich.
    Ihre Hand bewegte sich nach vorn, als wollte sie mich umarmen, aber dann hielt sie inne und wich stattdessen einen Schritt zurück.
    »Komm rein«, sagte sie.
    »Danke«, sagte ich und hängte die Jacke auf den Haken, den Körper leicht abgewandt. Als ich mich umdrehte, reckte sie sich zu mir hoch, und wir umarmten uns.
    »Bist du hungrig?«, sagte sie.
    »Ja, ziemlich«, antwortete

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