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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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unter Umständen schon wieder verschwunden. Die Grenzen zwischen dem, was er besaß, und dem, worüber er verfügen konnte, waren offensichtlich fließend, und ebenso wenig existierte eine klare Verbindung zwischen dem, was er machte, und dem Geld, das ihm zur Verfügung stand. Alles, was er einnahm, was oft nicht wenig war, verspielte er. Er setzte auf alles, was sich bewegte. Da er ein großer Überredungskünstler war, hatte er nie Probleme, sich Geld zu borgen, so dass er in einem richtigen Sumpf festsaß. Normalerweise behielt er alles für sich, aber manchmal drang doch etwas davon an die Oberfläche, zum Beispiel, als jemand Helena anrief und erklärte, Anders habe die Kasse der Firma geleert, in die er eingetreten war, um Verträge neu zu verhandeln, es gehe um siebenhunderttausend Kronen und man werde ihn anzeigen. Als sie ihn mit diesen Vorwürfen konfrontierte, hob er nicht einmal die Augenbrauen; die Finanzen in dem Unternehmen seien unübersichtlich und dubios gewesen, jetzt wollten sie das übertünchen, indem sie ihm die Schuld zuschoben. Selbst wenn er mit dem Geld abgehauen wäre und es verspielt hätte, war es Schwarzgeld, und diese Leute hatten mit Sicherheit kein Interesse, die Polizei hineinzuziehen, in der Hinsicht war er sicher. Vermutlich behielt er die Leute im Auge, die er hinterging, aber ganz ohne Risiko war die Sache natürlich nicht. Einmal war jemand in ihrer Wohnung gewesen, als die beiden unterwegs waren, erzählte Helena Linda, wahrscheinlich nur, um den beiden zu demonstrieren, dass sie es konnten.
Dann wurde er Miteigentümer bei einem groß angelegten Restaurantprojekt, aber auch das war für ihn nach ein paar Monaten Geschichte, danach ging es um irgendwelche Bauprojekte, die er betreute, als Nächstes um einen Friseursalon, dem er exklusive Räumlichkeiten vermittelte, anschließend um eine Speckfabrik, die er vor dem Konkurs bewahrte. Sein Problem, falls man es ein Problem nennen konnte, bestand darin, dass es unmöglich war, ihn nicht zu mögen. Er war in der Lage, mit den verschiedensten Menschen umzugehen, eine seltene Gabe, und außerdem war er großzügig, was man sofort merkte, wenn man ihn kennen lernte. Und immer gut gelaunt. Wenn wir gemeinsam bei Abendgesellschaften waren, erhob er sich und bedankte sich bei den Gastgebern für das Essen oder beglückwünschte sie oder was immer notwendig sein mochte, und hatte für jeden ein Wort übrig. Unabhängig davon, wie viel oder wenig sie mit ihm gemeinsam hatten, wusste er fast immer, wie er dafür sorgen konnte, dass sie sich wohlfühlten. Gleichzeitig hatte er nichts Berechnendes, nichts Raffiniertes, und vielleicht war das der Grund dafür, dass ich ihn trotz seiner anhaltenden Verlogenheit, die zu den wenigen Charaktermerkmalen gehört, die ich nur schwer akzeptieren kann, dennoch so gern hatte. Ich selbst war ihm natürlich vollkommen egal, aber wenn wir uns trafen, spielte er nicht den Interessierten, wie man es gelegentlich erlebt, wenn Gesprächspartner pflichtschuldig mit einem reden, und der Bruch zwischen dem, was sie wirklich denken, und dem, was sie tun, durch eine dieser entlarvenden kleinen Gesten sichtbar wird, die nur ganz wenige unter Kontrolle haben, zum Beispiel der kurze Blick zum anderen Ende des Raums, an sich bedeutungslos, der jedoch, wenn ihm eine Art »Ruck« in der Aufmerksamkeit folgt, sobald diese sich einem erneut zuwenden, dazu führt, dass die Form selbst als Form sichtbar wird. Das Gefühl, Teil eines Schauspiels geworden zu sein, das
sich daraufhin einstellt, wäre für jemanden, der davon lebt, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, natürlich verhängnisvoll. Anders »spielte« nicht, das war sein Geheimnis. Er war auch nicht »echt« in dem Sinne, dass alles, was er sagte, unbedingt dem entsprach, was er meinte, was er tat oder was er wollte. Aber wer ist das schon? Es gibt einen Menschenschlag, der durchgängig sagt, was er denkt, ohne dies der Situation anzupassen, in der er sich befindet, aber diese Leute sind selten, ich selbst bin nur zweien begegnet, und bei ihnen verhält es sich so, dass alle mitmenschlichen Situationen, in die sie geraten, von unglaublichen Spannungen gekennzeichnet sind. Nicht weil die Menschen anderer Meinung sind und diskutieren, sondern weil ihr Gesprächsziel alle anderen Gesprächsziele ausschließt und das Totalitäre daran automatisch auf sie zurückfällt, so dass sie eine Aura der Engstirnigkeit und Sturheit bekommen, völlig unabhängig von ihrer

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