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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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die Fronten gewechselt, Geir?«, rief Anders ihm hinterher.
    Ich kippte die leeren Muschelschalen in den Abfall, spülte die Teller ab und stellte sie in die Spülmaschine. Geir reichte mir seinen, trat einen Schritt zurück und lehnte sich gegen den Kühlschrank.
    »Faszinierend«, meinte er.
    »Was?«, sagte ich.
    »Worüber wir gesprochen haben. Oder besser gesagt, dass wir darüber gesprochen haben. Peter Handke hat ein Wort dafür. ›Erzählnächte‹ nennt er es, glaube ich. Wenn sich eine solche Offenheit einstellt und alle ihre Geschichten erzählen.«
    »Ja«, sagte ich und drehte mich um. »Kommst du mit? Ich muss eine rauchen.«
    »Klar«, sagte Geir.
    Als wir uns anzogen, kam Anders heraus.
    »Geht ihr eine rauchen? Ich komme mit.«
    Zwei Minuten später standen wir auf dem Hinterhof, ich mit einer glühenden Zigarette zwischen den Fingern, die beiden anderen mit den Händen in den Jackentaschen. Es war kalt und windig. Überall knallten Feuerwerkskörper.
    »Mir lag oben noch eine andere Geschichte auf der Zunge«, sagte Anders und strich sich mit der Hand durchs Haar. »Zum Thema verlieren, was man hat. Aber dann dachte ich, dass ich sie besser hier erzähle. Es passierte in Spanien. Ich und ein Freund waren die Besitzer eines Restaurants. Es war ein fantastisches Leben. Wir waren die ganze Nacht auf, high von Kokain und Schnaps, faulenzten tagsüber in der Sonne, fingen gegen sieben, acht Uhr wieder an. Ich glaube, es war die beste Zeit meines Lebens. Ich war vollkommen frei. Tat, was ich wollte.«
    »Und?«, sagte Geir.
    »Dann tat ich ein bisschen zu viel von dem, was ich wollte. In der Etage über der Bar hatten wir ein Büro, in dem ich die Frau meines Kompagnons vögelte, ich konnte es einfach nicht lassen, und er erwischte uns natürlich in flagranti, und das war’s dann. Damit war unsere Zusammenarbeit beendet. Aber irgendwann will ich zurück. Ich muss nur noch Helena überzeugen.«
    »Vielleicht ist das nicht das Leben, von dem sie träumt?«, sagte ich.
    Anders zuckte mit den Schultern.
    »Aber wir müssen da unten irgendwann einmal ein Sommerhaus mieten. Für einen Monat, alle sechs. In Granada oder so. Was haltet ihr davon?«
    »Klingt gut«, sagte ich.
    »Ich habe keinen Urlaub«, sagte Geir.
    »Wie meinst du das?«, sagte Anders. »Dieses Jahr?«
    »Nein, nie. Ich arbeite jeden Tag, die ganze Woche, Samstag und Sonntag eingerechnet, und alle Wochen im Jahr, abgesehen von Weihnachten vielleicht.«
    »Warum?«, sagte Anders.
    Geir lachte.
    Ich warf die Zigarettenkippe weg und stampfte ein paar Mal auf.
    »Gehen wir wieder hoch?«, sagte ich.
     
    Als ich Anders das erste Mal begegnete, holte er Linda und mich am Bahnhof des Nobelvororts Saltsjöbaden ab, wo die beiden eine kleine Wohnung zur Miete hatten, und auf dem Weg zu ihnen brachte er seine Verachtung für die Geld- und Statusjagd der dort wohnenden Leute zum Ausdruck, denn im Leben gehe es schließlich um ganz andere Dinge, aber obwohl ich ahnte, dass er uns nur nach dem Mund redete und lediglich Dinge sagte, von denen er glaubte, wir »Kulturmenschen« wollten sie hören, vergingen viele Monate, bis ich begriff, dass er im Grunde das genaue Gegenteil meinte: Das Einzige , was ihn wirklich interessierte, war Geld, und das Leben, das durch viel Geld möglich wurde. Er war besessen von dem Gedanken, wieder reich zu werden, bei allem, was er tat, ging es darum, und da dies vor den Augen des Finanzamts nicht ging, bewegte er sich in der Welt schwarzer Kassen. Als Helena ihn kennen lernte, waren seine Geschäfte allesamt zwielichtig, aber sie, die bis zuletzt gegen ihre Liebe ankämpfte, am Ende jedoch kapitulierte, stellte ein paar Forderungen, als sie recht bald ein Kind bekamen, die er anscheinend auch erfüllte: Sein Geld verdiente er nach wie vor schwarz, aber in einem gewissen Sinne dennoch »sauber«. Was er genau tat, wusste ich nicht, nur, dass er sich seine zahlreichen Kontakte zunutze machte, die er aus den Zeiten seines Erfolgs noch besaß, um immer neue Projekte zu finanzieren, die aus irgendwelchen Gründen
jeweils nur ein paar Monate liefen. Ihn anzurufen, war vergebliche Liebesmühe, er wechselte laufend das Handy, für seine Autos galt das Gleiche, es waren sogenannte »Firmenwagen«, die er regelmäßig austauschte. Wenn wir die beiden besuchten, stand an einem Abend ein riesiger Flachbildfernseher an der Wand im Wohnzimmer oder ein neues Notebook auf dem Schreibtisch im Flur, aber am nächsten Abend waren diese Dinge

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