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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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gelebt hatte, hatte ich das auch getan. Ich hatte doch keine Ahnung. Aber als ich Bescheid wusste und in Norwegen zu sagen versuchte, was ich wusste, begriff keiner, was ich meinte. Es lässt sich unmöglich beschreiben, wie konform dieses Land ist. Auch weil sich diese Konformität in Abwesenheit zeigt; andere Meinungen als die vorherrschenden gibt es in der Öffentlichkeit nicht. Es dauert eine Weile, bis man das merkt.
    So war die Situation an jenem Abend im Februar 2005, an dem ich mit einem Buch von Dostojewski in der einen Hand und einer Einkaufstüte von NK in der anderen im Treppenhaus an der Russin vorbeiging. Dass sie meinem Blick nicht begegnete, war nicht weiter verwunderlich; wenn wir unseren Kinderwagen nachmittags im Fahrradkeller abstellten, fanden wir ihn am nächsten Tag häufig eingeklemmt an der Wand, das Verdeck herabgepresst, die Decke gelegentlich und offensichtlich hastig und wütend auf die Erde geworfen. Einen
kleinen Buggy, den wir gebraucht kauften, hatte jemand zum Sperrmüll gestellt, so dass die Müllabfuhr ihn eines Morgens mitgenommen hatte. Es fiel einem schwer, sich vorzustellen, dass jemand anderes als sie dahinterstecken konnte. Undenkbar war es jedoch nicht. Die Blicke der anderen Nachbarn waren auch nicht unbedingt herzlich.
    Ich öffnete die Tür und ging hinein, bückte mich und löste die Schnürsenkel der Winterschuhe.
    »Hallo?«, sagte ich.
    »Hallo«, sagte Linda aus dem Wohnzimmer.
    Keine Unfreundlichkeit in der Stimme.
    »Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, sagte ich und richtete mich auf, zog Schal und Jacke aus und hängte sie auf den Kleiderbügel im Garderobenschrank. »Ich habe beim Lesen einfach die Zeit vergessen.«
    »Das macht doch nichts«, sagte Linda. »Ich habe Vanja gebadet und sie ruhig und friedlich ins Bett gebracht. Es war herrlich.«
    »Schön«, sagte ich und ging zu ihr ins Wohnzimmer. Sie saß auf der Couch, sah fern und trug meinen dunkelgrünen Pullover.
    »Du hast meinen Pullover an?«
    Sie schaltete den Apparat mit der Fernbedienung aus und stand auf.
    »Ja?«, sagte sie. »Weißt du, ich vermisse dich.«
    »Ich wohne hier«, sagte ich. »Ich bin doch die ganze Zeit da.«
    »Du weißt schon, was ich damit sagen will«, sagte sie und streckte sich, um mir einen Kuss zu geben. Wir umarmten uns eine Weile.
    »Ich erinnere mich, dass Espens Freundin sich darüber beklagte, dass seine Mutter in seiner Jacke herumlief, als sie bei ihr war«, sagte ich. »Ich glaube, sie meinte, dass seine
Mutter damit eine Art Besitzrecht auf ihn ausdrücken wollte. Dass es eine feindselige Handlung war.«
    »Das war es ja offenbar auch«, sagte sie. »Aber hier gibt es nur dich und mich. Und wir sind doch keine Feinde, oder?«
    »Nein, Gott bewahre«, sagte ich. »Ich mache uns etwas zu essen. Möchtest du vorab schon ein Glas Rotwein?«
    Sie sah mich an.
    »Stimmt, du stillst ja noch«, sagte ich. »Aber ein Glas ist doch sicher nicht so schlimm? Nun komm schon.«
    »Es würde mir schmecken. Aber ich glaube, ich warte noch. Nimm dir ruhig eins!«
    »Ich will nur noch kurz nach Vanja sehen. Sie schläft?«
    Linda nickte, und wir gingen ins Schlafzimmer, wo sie in ihrem Gitterbettchen neben unserem Doppelbett lag. Sie lag sozusagen auf den Knien, mit dem Po nach oben und den Kopf ins Kissen gebohrt, die Arme seitlich ausgestreckt.
    Ich lächelte.
    Linda deckte sie zu, und ich ging in den Flur, trug die Tüte in die Küche, stellte den Ofen an, putzte die Kartoffeln, stach mit der Gabel in jede einzelne, legte sie auf die Platte, die ich zuvor mit etwas Öl eingepinselt hatte, stellte sie in den Ofen und setzte einen Topf mit Wasser für den Broccoli auf den Herd. Linda kam herein und setzte sich an den Tisch.
    »Ich bin heute mit einer ersten Schnittfassung fertig geworden«, sagte sie. »Kannst du sie dir nachher bitte anhören? Vielleicht muss ich ja auch gar nichts mehr ändern.«
    »Klar«, sagte ich.
    Sie arbeitete an einer Dokumentation über ihren Vater, die sie am Mittwoch abliefern musste. Sie hatte ihn in den letzten Wochen mehrmals interviewt, und auf die Art war er wieder zu einem Teil ihres Lebens geworden, nachdem er eine Reihe von Jahren abwesend gewesen war, obwohl er in einer Wohnung lebte, die ganze fünfzig Meter von unserer entfernt lag.
    Ich legte die Entrecôte-Scheiben auf das breite Holzbrett, riss etwas Küchenpapier ab und tupfte sie ab.
    »Das sieht gut aus«, sagte Linda.
    »Das will ich hoffen«, erwiderte ich. »Ich wage gar nicht,

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