Lieben: Roman (German Edition)

Vormittag im Spätwinter wurde Linda von der Firma angerufen, der das Haus gehörte, man hatte sich über uns beschwert und zwar mit einer ganzen Reihe gravierender Punkte, ob wir die Freundlichkeit haben könnten, zu diesen Stellung zu nehmen? Erstens ließen wir zu unpassenden Zeiten laute Musik laufen. Zweitens stellten wir Mülltüten vor unserer Wohnungstür in den Flur. Drittens stand unser Kinderwagen auch immer dort. Viertens rauchten wir auf dem Hinterhof und warfen die Kippen achtlos fort. Fünftens vergaßen wir Kleider in der Waschküche, machten dort hinterher nicht sauber, wuschen zu anderen Zeiten als den uns zugewiesenen. Was sollten wir dazu sagen? Dass die Nachbarin uns etwas anhängen wollte? Es stand Aussage gegen Aussage. Außerdem hatte sie den Beschwerdebrief nicht allein unterschrieben, auch ihre Freundin in der Etage über uns hatte mitgemacht. Hinzu kam, dass einige Punkte zutrafen. Da alle anderen im Haus ihre Mülltüten abends vor die Tür stellten, um sie am nächsten Morgen zu den Mülltonnen mitzunehmen, taten wir das auch. Leugnen konnten wir es nicht; unsere beiden eifrigen Nachbarinnen hatten unsere Tür mit der Tüte davor fotografiert. Und den Kinderwagen stellten wir auch vor der Tür ab, fanden sie etwa, dass wir das Kind und alles, was es benötigte, mehrmals täglich aus dem Keller hochschleppen sollten? Unsere Waschzeiten vergaßen wir schon einmal, aber ging das nicht allen so? Nein, an die müssten wir uns unbedingt halten. Für diesmal hat sich die Sache erledigt, aber wenn wir weitere Beschwerden erhalten, werden wir den Mietvertrag
überprüfen. In Schweden bekommt man einen Mietvertrag auf Lebenszeit, es ist schwer, an einen heranzukommen, und um an einen zu kommen, wie wir ihn hatten, mitten in der Stadt, musste man ihn sich entweder im Laufe eines langen Lebens erarbeiten oder für bis zu einer Million schwedischer Kronen auf dem Schwarzmarkt kaufen. Linda hatte unseren von ihrer Mutter bekommen. Diesen Mietvertrag zu verlieren, hätte bedeutet, das Einzige in unserem Besitz zu verlieren, was einen Wert hatte. Fortan blieb uns also nichts anderes übrig, als bei allem, was wir taten, extrem genau darauf zu achten, dass es korrekt war. Den Schweden ist das in Fleisch und Blut übergegangen, einen Schweden, der seine Rechnungen nicht pünktlich zahlt, gibt es nicht, denn wenn man darin nachlässig ist, erhält man einen Eintrag bei der Kreditinformation, und mit einem solchen Eintrag, ganz gleich, wie klein die betreffende Summe auch sein mag, bekommt man bei der Bank keine Kredite mehr, darf man kein Vertragshandy kaufen oder Auto mieten. Bei mir, der ich es in solchen Dingen nicht so genau nahm und an ein paar kleinere Inkassofälle im Halbjahr gewöhnt war, klappte das natürlich nicht. Wie ernst die Folgen waren, begriff ich allerdings erst nach etwas mehr als einem Jahr, als ich einen Kredit benötigte und mir dieser kategorisch verweigert wurde. Einen Kredit, für Sie! Aber die Schweden, die bissen die Zähne zusammen, hielten Ordnung in ihrem Leben und verachteten alle, die das nicht taten. Oh, wie ich dieses kleine Scheißland hasste. Und wie selbstgerecht sie waren! Wie die Dinge in Schweden waren, das war normal, alles davon Abweichende war nicht normal. Und gleichzeitig begeisterten sie sich für alles Multikulturelle und für Minderheiten! Die armen Neger, die aus Ghana oder Äthiopien in eine schwedische Waschküche kamen! Zwei Wochen im Voraus Waschzeiten buchen und sich dann eine Standpauke anhören zu müssen, wenn man eine Socke
im Trockner vergaß, oder ein Mann steht vor der Tür und fragt mit einer dieser verdammten IKEA-Tüten in der Hand und mit ironischer Hilfsbereitschaft, ob diese zufällig dir gehört? Schweden hat seit dem siebzehnten Jahrhundert keinen Krieg mehr auf eigenem Boden geführt. Und wie oft spielte ich nicht mit dem Gedanken, dass jemand in Schweden einmarschieren sollte, seine Gebäude bombardieren, das Land ausbeuten, seine Männer niederschießen, seine Frauen vergewaltigen sollte, um dann irgendein weit entferntes Land, zum Beispiel Chile oder Bolivien, die schwedischen Flüchtlinge mit all seiner Hilfsbereitschaft umarmen und ihnen sagen zu lassen, dass sie alles Skandinavische lieben, um sie anschließend vor den Toren einer ihrer Großstädte in ein Ghetto zu stecken. Einfach um zu sehen, was die Schweden wohl dazu sagen würden.
    Am Schlimmsten war vielleicht, dass Schweden in Norwegen so bewundert wurde. Als ich noch dort