Lieben: Roman (German Edition)
flackerte und jäh von kompakter Dunkelheit ersetzt wurde.
Fünfzehn Minuten später stieg ich an der Station Skanstull aus, hob am Geldautomaten etwas Bargeld ab, überquerte die Straße und ging zum Pelikan . Das Lokal war ein klassischer Bierausschank mit Bänken und Tischen entlang der Wände,
mit Stühlen und Tischen dicht gedrängt auf dem schwarzweiß karierten Fußboden, braunen Holzpaneelen an den Wänden, Gemälden auf dem Putz über ihnen und an der Decke, ein paar breiten Stützpfeilern im Raum, auch sie unten mit braunen Holzpaneelen verkleidet, um die Bänke liefen, sowie eine langgezogene, breite Theke am Kopfende. Die Kellnerinnen waren fast alle schon etwas älter und trugen schwarze Kleider und weiße Schürzen. Es lief keine Musik, aber der Geräuschpegel war dennoch hoch, das Stimmengewirr und Lachen und Klirren von Besteck und Gläsern hing wie eine Wolkendecke über den Tischen, unbemerkt, wenn man sich dort eine Weile aufgehalten hatte, aber auffällig und gelegentlich auch aufdringlich, wenn man von der Straße zur Tür hereinkam und es wie Krach klang. Zur Klientel gehörte immer noch der eine oder andere Trinker, der hier womöglich schon seit den Sechzigern verkehrte, der eine oder andere ältere Herr, der hier sein Abendessen zu sich nahm, doch sie starben allmählich aus, so dass hier wie in allen anderen Lokalen im Stadtteil Södermalm Frauen und Männer aus der kulturschaffenden Mittelschicht dominierten. Sie waren nicht zu jung, nicht zu alt, nicht zu schön, nicht zu hässlich und wurden nie zu betrunken. Kulturjournalisten, Universitätsstipendiaten, Studenten der Geisteswissenschaft, Verlagsangestellte, Fernseh- und Rundfunkredakteure, der eine oder andere Schauspieler oder Schriftsteller, aber selten einer der bekannteren.
Ich blieb einen Meter hinter der Tür stehen und ließ den Blick über sie schweifen, während ich den Schal vom Hals zog und die Jacke aufknöpfte. Brillen blitzten, Schädel glänzten, weiße Zähne leuchteten. Jeder hatte ein Bier vor sich, vor dem Hintergrund der braunen Tischplatten war es fast ockerfarben. Geir war allerdings nirgendwo zu sehen.
Ich ging zu einem der Tische mit Decke und setzte mich mit dem Rücken zur Wand. Fünf Sekunden später stand eine der
Kellnerinnen vor mir und reichte mir die dicke Speisekarte in ihrer Lederimitathülle.
»Wir sind zu zweit«, sagte ich. »Deshalb warte ich mit der Essensbestellung noch. Aber könnte ich bitte vorab schon einmal ein Staropramen haben?«
»Natürlich«, antwortete die Kellnerin, eine Frau von etwa sechzig Jahren mit einem großen, fleischigen Gesicht und üppigen rotbraunen Haaren. »Ein helles oder ein dunkles?«
»Ein helles, bitte.«
Oh, es war wirklich schön dort. Der typische und reine Charakter eines Bierausschanks ließ einen an andere, klassischere Zeiten denken, ohne dass das Lokal deshalb museal gewirkt hätte, die Atmosphäre hatte nichts Gezwungenes, hier ging man hin, um Bier zu trinken und sich zu unterhalten, wie man es seit den dreißiger Jahren an diesem Ort getan hatte. Es gehörte zu den größten Vorzügen Stockholms, dass es so viele Gaststätten aus den unterschiedlichsten Epochen gab, die nach wie vor betrieben wurden, ohne dass sie dies an die große Glocke hingen. Der van der Nootssche Palast aus dem 17. Jahrhundert zum Beispiel, in dem sich Bellman der Legende nach zum ersten Mal betrunken hatte, als das Lokal bereits hundert Jahre alt war, und in dem ich gelegentlich zu Mittag aß – zum ersten Mal übrigens am Tag nach der Ermordung von Außenministerin Anna Lindh, als die Stimmung in der Stadt so seltsam bedrückt und wachsam war –, dann gab es in der Altstadt noch das Restaurant Den Gyldene Freden aus dem 18. Jahrhundert, das Tennstopet und Berns Salonger aus dem 19. Jahrhundert, in denen es das von Strindberg beschriebene Rote Zimmer gab, ganz zu schweigen von der Jugendstilbar Gondolen, die seit den zwanziger Jahren am oberen Ende des Katharina-Aufzugs mit Aussicht auf die ganze Stadt existierte und in der man sich fühlte, als wäre man an Bord eines Zeppelins oder vielleicht auch im Salon eines Atlantikdampfers.
Die Kellnerin kam mit einem Tablett voller Biergläser in der Hand, stellte eins lächelnd auf einen unmittelbar zuvor hingeworfenen Bierdeckel und ging zwischen den vielen lärmenden Tischen hindurch weiter, an denen sie an etwa jedem zweiten mit scherzhaften Kommentaren empfangen wurde.
Ich hob das Glas an den Mund, spürte, wie der
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