Lieben: Roman (German Edition)
Boxern – in diesem Milieu hatte er Geir kennen gelernt – und das bisher letzte mit einer Bilderreihe von Tieren, Objekten, Landschaften und Menschen, denen allen etwas Finsteres anhaftete und die alle eine gewisse Leere in und um sie herum auszeichnete. Thomas war freundlich und in geselliger Runde anspruchslos, man hatte quasi nichts zu verlieren, wenn man sich mit ihm unterhielt, vielleicht weil er so wenig Wert auf sein eigenes Auftreten legte, obwohl er
gleichzeitig selbstsicher war, oder vielleicht auch gerade deshalb. Er wollte anderen nur Gutes, das war das Gefühl, das er einem vermittelte. In seiner Arbeit war er dagegen extrem streng und anspruchsvoll, strebte er stets Perfektion an, seine Bilder orientierten sich eher in Richtung des Stilisierten als des Improvisierten. Von seinen Bildern gefielen mir diejenigen am besten, die dazwischen lagen; das Improvisierte stilisiert, das Zufällige eingefroren. Sie waren grandios. Manche Boxeraufnahmen erinnerten in der Balance der Körper und darin, dass sie bei Aktivitäten außerhalb der Arena festgehalten worden waren, an hellenische Skulpturen, anderen war eine große Düsternis und natürlich auch Gewalt eigen. Ich hatte ihm in diesem Winter als ein Geschenk zu Yngves vierzigstem Geburtstag zwei Fotos abgekauft, hatte in Thomas’ Atelier gesessen und in der Serie geblättert, die seinem letzten Buch zugrunde lag, zögerte lange, wählte schließlich jedoch zwei aus. Als Yngve sie bekam, sah ich ihm an, dass sie ihm nicht wirklich gefielen, so dass ich sagte, er dürfe sich selber zwei aussuchen, woraufhin ich die ursprünglichen Bilder übernahm, die mittlerweile in meinem Büro hingen. Sie waren großartig, gleichzeitig aber auch unheilschwanger, denn aus ihnen sprang einen der Tod an, weshalb ich gut verstehen konnte, warum Yngve sie sich nicht ins Wohnzimmer hängen wollte, obwohl ich natürlich auch beleidigt war. Übrigens nicht zu knapp. Als ich die Fotos holen wollte, für die Yngve sich schließlich entschieden hatte, und an die Tür des Kellers in der Altstadt klopfte, in dem Thomas’ Atelier mit seinen massiven Steinwänden aus dem 16. Jahrhundert lag, öffnete sein Kollege, ein zerzauster, leicht schäbig gekleideter Mann zwischen sechzig und siebzig Jahren die Tür. Thomas sei nicht da, aber ich könne gerne herunterkommen und warten, wenn ich wollte. Das war Anders Petersen, der Fotograf, mit dem sich Thomas das Atelier teilte und den ich vor allem als Fotografen
des Bilds auf Tom Waits’ Platte Rain Dogs kannte, obwohl er sich bereits in den siebziger Jahren einen Namen gemacht hatte, als ihm mit Café Lehmitz der Durchbruch gelang. Seine Bilder waren roh, ungeschminkt, chaotisch und dem Lebendigen so nahe, wie man ihm nur kommen konnte. Er setzte sich in dem Raum über den Fotolabors auf die Couch, fragte mich, ob ich einen Kaffee wolle, ich verneinte, und er nahm seine Betätigung wieder auf, die darin bestand, summend in einem Stapel Kontaktkopien zu blättern. Ich wollte nicht im Weg stehen oder aufdringlich erscheinen, so dass ich mich vor eine Tafel mit Bildern stellte und diese eine Weile betrachtete, nicht unberührt von seiner Ausstrahlung, die sich möglicherweise aufgelöst hätte, wenn sich weitere Personen im Raum aufgehalten hätten, aber wir waren eben nur zu zweit, und ich nahm jede seiner Bewegungen wahr. Er strahlte Naivität aus, aber keine, die von Unerfahrenheit herrührte, er wirkte im Gegenteil, als hätte er viel erlebt, es schien eher, als wären all diese Erfahrungen einfach da, ohne dass aus ihnen Konsequenzen gezogen worden wären, als hätten sie ihn sozusagen unberührt gelassen. So dürfte es kaum gewesen sein, aber es war das Gefühl, das sich bei mir einstellte, als ich seinem Blick begegnete und ihn dort sitzen und arbeiten sah. Thomas kam ein paar Minuten später und schien sich zu freuen, mich zu sehen, so wie er sich mit Sicherheit über alle freute, denen er begegnete. Er holte Kaffee, wir setzten uns auf eine Couch an der Treppe, er holte die Bilder heraus, musterte sie ein letztes Mal eingehend, steckte sie in Plastikumschläge, die er in einen weiteren Umschlag legte, während ich das Kuvert mit dem Geld auf dem Tisch deponierte, allerdings so diskret, dass ich mir nicht sicher war, ob er es überhaupt bemerkt hatte, denn private Transaktionen mit Bargeld machten mich immer verlegen, das natürliche Gleichgewicht wurde in gewisser Weise verschoben oder sogar völlig außer Kraft gesetzt, ohne
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