Lieben: Roman (German Edition)
dass
ich wusste, was fortan gelten würde. Ich legte die Fotos in die Tasche, und wir unterhielten uns über dies und das; außer Geir hatten wir noch einen weiteren Berührungspunkt, Marie, die Frau, mit der er zusammenlebte, eine Lyrikerin, sie hatte viele Jahre zuvor Linda in Biskops-Arnö unterrichtet und war mittlerweile eine Art Mentorin für Lindas Freundin Cora. Sie war eine gute Dichterin, in gewissem Sinne klassisch; Wahrheit und Schönheit waren in ihren Gedichten keine unvereinbaren Größen, und Sinn war nicht nur etwas, was mit Sprache verbunden war. Sie hatte einige Theaterstücke Jon Fosses ins Schwedische übersetzt und arbeitete mittlerweile unter anderem an Übertragungen von Gedichten Steinar Opstads. Ich war ihr nur zwei Mal begegnet, aber sie schien ein reicher Mensch zu sein, es gab viele Nuancen in ihrem Charakter und eine seelische Tiefe, die man intuitiv wahrnahm, ohne dass das Neurotische, dieser ständige Begleiter der Sensibilität, gegenwärtig zu sein schien, jedenfalls nicht aufdringlich. Wenn sie mir gegenüberstand, dachte ich allerdings an nichts von all dem, denn in ihrem rechten Auge hatte sich irgendwie die Pupille gelöst und war herabgerutscht, sie lag zwischen Iris und Augapfel, und dies war so grundlegend beunruhigend, dass es den ersten Eindruck von ihr prägte wie nichts anderes.
Thomas sagte, dass sie Linda und mich mal zum Essen einladen wollten, und ich erwiderte, dass wir uns darüber freuen würden, stand auf und nahm die Tasche, er stand ebenfalls auf und gab mir die Hand, und da es nicht so wirkte, als hätte er den Umschlag mit dem Geld gesehen, sagte ich, ich habe das Geld für die Bilder dahin gelegt, woraufhin er nickte und sich dafür bedankte, als hätte ich ihn zu diesem Dank gezwungen, so dass ich ein wenig beschämt die Treppe hinaufstieg und auf die winterlichen Straßen der Altstadt hinaus trat.
Das war inzwischen fast zwei Monate her. Aber dass wir keine Einladung bekommen hatten, nahm ich auf die leichte
Schulter, denn zu den ersten Dingen, die man mir über Thomas erzählt hatte, gehörte, dass er ausgesprochen vergesslich war. Das ging mir ähnlich, so dass ich ihm daraus keinen Vorwurf machte.
Als er sich an den Tisch am hinteren Ende des Lokals setzte, tat er dies als ein schlanker, gut gekleideter Mann mit einer Lenin-Maske. Ich holte den gelben Tiedemanns-Tabakbeutel aus der Tasche und drehte mir, aus irgendeinem Grund mit so verschwitzten Fingerkuppen, dass ständig Tabakfäden an ihnen hängen blieben, eine Zigarette, trank erneut ein paar große Schlucke Bier, zündete die Zigarette an und sah Geirs Gestalt auf der Straße am Fenster vorbeigehen.
Er entdeckte mich sofort, nachdem er eingetreten war, schaute sich aber dennoch im Gastraum um, während er auf meinen Tisch zustrebte, als suchte er nach mehreren Möglichkeiten. Einem Fuchs nicht unähnlich, könnte man meinen, der außer Stande ist, sich an einen Ort zu begeben, von dem aus es nicht mehrere Fluchtwege gab.
»Warum zum Teufel gehst du nicht an dein Handy?«, sagte er, streckte mir die Hand entgegen und begegnete flüchtig meinem Blick. Ich stand auf, gab ihm die Hand und setzte mich wieder.
»Ich dachte, wir hätten sieben gesagt«, meinte ich. »Jetzt ist es schon nach halb acht.«
»Was glaubst du, was ich dir am Handy sagen wollte? Dass du daran denken musst, beim Aussteigen auf die Lücke zwischen Wagen und Bahnsteig zu achten?«
Er zog Schal und Mütze aus und legte sie neben mir auf die Bank, hängte die Jacke über den Stuhl und setzte sich.
»Ich habe in der U-Bahn-Station mein Handy verloren«, sagte ich.
»Verloren?«, sagte er.
»Ja, jemand ist gegen meinen Arm gestoßen, und es ist
weggeflogen. Ich glaube ehrlich gesagt, es ist in eine Tasche gefallen, denn ich habe nicht gehört, dass es auf den Boden geschlagen ist. Außerdem ging genau in dem Moment eine Frau mit einer offenen Tasche an mir vorbei.«
»Du bist unglaublich«, sagte er. »Denn ich gehe schwer davon aus, dass du dich nicht an sie gewandt und sie gefragt hast, ob du es zurückbekommen könntest?«
»Nein. Erstens kam in dem Moment die Bahn, zweitens bin ich mir doch gar nicht sicher, dass es so war. Ich kann doch nicht einfach Frauen ansprechen und fragen, ob ich mal kurz einen Blick in ihre Handtaschen werfen darf.«
»Hast du schon bestellt?«, sagte er.
Ich schüttelte den Kopf. Er griff nach der Speisekarte und sah sich nach der Kellnerin um.
»Es ist die da hinten an der Säule«, sagte
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