Lieben: Roman (German Edition)
ich. »Was nimmst du?«
»Was denkst du?«
»Schweinebauch mit Zwiebelsauce vielleicht?«
»Ja, vielleicht.«
Geir war immer sehr distanziert, wenn ich mich mit ihm traf, als könnte er sich nicht mit der Tatsache abfinden, dass ich da war, als versuchte er ganz im Gegenteil, mich von sich fernzuhalten. Er begegnete meinem Blick nicht, er ließ sich nicht auf meine Gesprächsthemen ein, sondern schnitt sie ab, indem er die Aufmerksamkeit etwas anderem zuwandte, er konnte sich höhnisch geben und mit seinem ganzen Wesen Arroganz ausstrahlen. Manchmal brachte mich das aus dem Konzept, und wenn er mich erst einmal aus dem Konzept gebracht hatte, sagte ich nichts, was er dann wiederum gerne kommentierte. »Großer Gott, bist du heute schwermütig«, »Willst du jetzt den ganzen Abend so herumsitzen und Löcher in die Luft starren«, »Ich muss schon sagen, heute macht es wieder richtig Spaß mit dir, Karl Ove«. Es war eine Art seelisches
Vorpostenscharmützel, das er in seinem Inneren ausfocht, denn nach einer Weile, mal einer halben, mal einer ganzen Stunde, mal nach fünf Minuten, veränderte er sich, kam aus der Deckung und schob sich aufmerksam, fürsorglich und gegenwärtig in die Situation hinein, und sein Lachen, bis dahin kalt und hart, wurde warm und herzlich im Zuge einer Verwandlung, die auch Stimme und Augen betraf. Wenn wir telefonierten, existierte diese Deckung nicht, dann unterhielten wir uns von dem Moment an, in dem der Hörer abgehoben wurde, von gleich zu gleich. Er wusste mehr über mich als jeder andere Mensch, so wie ich wahrscheinlich, aber nicht sicher, mehr über ihn wusste als jeder andere.
Der Unterschied zwischen uns, der mit den Jahren kleiner geworden war, aber niemals weggewischt werden konnte, da er nicht in unseren Ansichten oder Haltungen begründet lag, sondern in den grundlegenden Charakterzügen, tief unten im ewig Unbeeinflussbaren, manifestierte sich klar und deutlich in etwas, das Geir mir schenkte, als ich Alles hat seine Zeit vollendet hatte. Es war ein Messer, das Standardmodell der US Marines, das man im Grunde nur zum Töten von Menschen benutzen konnte. Er machte keinen Scherz, es war schlicht und ergreifend das schönste Objekt, das er sich vorstellen konnte. Darüber freute ich mich, aber das Messer, wirklich furchteinflößend mit seinem blanken Stahl, der scharfen Spitze und den tiefen Rillen, in denen das Blut abfließen sollte, blieb hinter ein paar Büchern im Regal meines Büros in seinem Futteral liegen. Möglicherweise erkannte er, wie fremd dieses Objekt mir war, denn als Alles hat seine Zeit ein paar Monate später erschien, bekam ich ein neues Geschenk, eine Faksimile-Ausgabe der Encyclopedia Britannica aus dem 18. Jahrhundert – äußerst faszinierend angesichts all der Gegenstände und Phänomene, die sie nicht beschrieb, weil es sie noch gar nicht gab –, das eher zu mir passte.
Jetzt holte er eine Plastikmappe mit einigen Blättern heraus und reichte sie mir.
»Es sind nur drei Seiten«, sagte er. »Könntest du sie bitte lesen und mir sagen, ob es dadurch besser wird?«
Ich nickte, zog die Blätter aus der Mappe, drückte die Zigarette aus und begann zu lesen. Es war der Anfang des Essays, den ich vermisst hatte, als ich sein Manuskript durchgegangen war. Den Ausgangspunkt bildete Karl Jaspers’ Begriff der Grenzsituation. Der Ort, an dem das Leben in seiner maximalen Intensität gelebt wurde, die Antithese zum Alltag, mit anderen Worten in der Nähe des Todes.
»Das ist gut«, sagte ich, als ich fertig war.
»Sicher?«
»Natürlich.«
»Schön«, meinte er, steckte die Blätter in die Plastikmappe zurück und legte sie in die Tasche, die auf dem Stuhl neben ihm stand. »Du bekommst später noch mehr zu lesen.«
»Das glaube ich gern«, sagte ich.
Er schob den Stuhl näher an den Tisch heran, legte die Ellbogen auf die Tischplatte und faltete die Hände. Ich zündete mir eine weitere Zigarette an.
»Übrigens, dein Journalist hat mich heute angerufen«, sagte er.
»Wer?«, sagte ich. »Ach so, der Typ von Aftenposten .«
Da der Journalist ein Porträt von mir schreiben wollte, hatte er darum gebeten, mit zwei meiner Freunde sprechen zu dürfen. Ich hatte ihm Tores Nummer gegeben, der in dieser Hinsicht ein ziemlich loses Mundwerk haben und alles Mögliche über mich erzählen konnte, und Geirs, da dieser besser wusste, wie die Dinge im Moment lagen.
»Und, was hast du ihm erzählt?«, sagte ich.
»Nichts.«
»Nichts? Warum
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