Lieben: Roman (German Edition)
darunter.
»Das sehe ich«, sagte ich. »Ich muss etwas mit dir besprechen.«
»Aha?«
»Es geht um deine Mutter. Erinnerst du dich, dass die Schnapsflaschen in letzter Zeit auffällig schnell leerer geworden sind?«
Sie nickte.
»Ich habe die Flaschen gestern markiert, um der Sache nachgehen zu können. Und jetzt hat jemand aus ihnen getrunken. Wenn du es nicht warst, muss es deine Mutter gewesen sein.«
»Mama?«
»Ja. Sie trinkt, wenn sie auf Vanja aufpasst. Sie hat es die ganze Woche getan, und es gibt eigentlich keinen Grund anzunehmen, dass sie gerade erst damit angefangen hat.«
»Bist du sicher?«
»Ja, schon. So sicher, wie man nur sein kann.«
»Was sollen wir jetzt tun?«
»Ihr sagen, dass wir davon wissen. Und dass wir es nicht akzeptieren können.«
»Natürlich.«
Sie wurde still.
»Wann kommen die beiden zurück?«, sagte ich nach einer Weile.
Sie sah mich an.
»Gegen fünf«, antwortete sie.
»Was schlägst du vor?«, fragte ich.
»Wir werden es ihr noch heute sagen müssen. Ihr schlichtweg ein Ultimatum stellen. Wenn sie das noch einmal tut, darf sie mit Vanja nicht mehr alleine bleiben.«
»Ja«, sagte ich.
»Das geht bestimmt schon seit Jahren so«, sagte sie wie zu sich selbst. »Das erklärt so einiges. Sie ist so unglaublich nervös gewesen, man ist kaum noch an sie herangekommen.«
Ich stand auf.
»Das ist nicht gesagt«, erwiderte ich. »Vielleicht hat es auch mit Vidar und ihr zu tun, vielleicht haben sich die beiden da draußen in eine Sackgasse manövriert. Und sie ist unglücklich.«
»Aber wenn man über sechzig ist, fängt man doch nicht an zu trinken, weil man unglücklich ist«, sagte Linda. »Es muss für sie eine Art Methode sein, schon seit langem gewesen sein.«
»Sie kommen in einer guten halben Stunde«, sagte ich. »Sollen wir die Sache auf sich beruhen lassen und später ansprechen oder sofort angehen? Es hinter uns bringen?«
»Es bringt nichts, damit zu warten«, sagte sie. »Aber wie sollen wir ihr es sagen? Alleine schaffe ich das nicht. Sie würde es bloß abstreiten und es so drehen und wenden, dass es irgendwie um mich geht. Sollen wir es zusammen tun?«
»Wie eine Art Familienrat?«
Linda zuckte mit den Schultern und breitete in der schaumgefüllten Badewanne die Arme aus.
»Tja, ich weiß auch nicht«, sagte sie.
»Das wird zu kompliziert. Außerdem sind wir dann zwei gegen einen. Ein regelrechtes Anklagetribunal. Ich übernehme das. Ich geh mit ihr raus und rede mit ihr.«
»Willst du das wirklich tun?«
»Wollen? Es ist das Letzte, was ich will! Verdammt, sie ist immerhin meine Schwiegermutter. Alles, was ich will, ist ein bisschen Anstand und Würde und Frieden und Ruhe.«
»Ich bin froh, dass du das auf dich nehmen willst«, sagte sie.
»Ich muss sagen, du nimmst es ziemlich gefasst auf«, sagte ich.
»Das ist fast die einzige Situation, in der ich ruhig werde – wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, eine Krise auftaucht
oder so. Das habe ich noch aus meiner Kindheit. Damals war es der Normalzustand. Ich bin daran gewöhnt. Aber ich bin auch wütend, nur dass du es weißt. Wir brauchen sie im Moment. Sie soll für unsere Kinder jemand sein. Sie haben doch kaum Familie. Sie darf uns jetzt nicht im Stich lassen. Das darf sie nicht, und wenn ich selber dafür sorge.«
»Kinder?«, sagte ich. »Weißt du etwas, was ich nicht weiß?«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf.
»Nein. Aber vielleicht spüre ich ja etwas.«
Ich ging hinaus, schloss die Tür hinter mir und stellte mich im Wohnzimmer ans Fenster.
Hörte das Wasser im Badezimmer durch den Abfluss verschwinden, blickte auf die Fackelleuchte, die vor dem Café auf der anderen Seite der schmalen Straße im Wind flackerte, die dunklen vorübergehenden Gestalten mit ihren weißen, fast maskenhaften Gesichtern. In der Etage über uns begann der Nachbar, Gitarre zu spielen. Linda kam mit einem roten Handtuch, das sie wie einen Turban um den Kopf geschlungen hatte, in den Flur und verschwand hinter der offenen Schranktür. Ich ging meine Mails checken. Eine von Tore, eine von Gina Winje. Ich begann, ihr zu antworten, löschte den Text dann jedoch wieder. Ging in die Küche, stellte die Kaffeemaschine an und trank ein Glas Wasser. Linda stand im Flur vor dem Spiegel und schminkte sich.
»Wann kommt Christina?«, sagte ich.
»Um sechs. Aber ich mache mich lieber jetzt schon fertig, solange wir allein sind. Wie war übrigens dein Tag? Hast du etwas getan bekommen?«
»Ein
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