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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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lag. In zehn Jahren würde ich fünfzig sein. In zwanzig, sechzig.
    War es da so verwunderlich, dass auf das Glück ein Schatten fiel?
    Ich blinkte und überholte einen Lastzug. Ich war so unerfahren, dass es mich beunruhigte, als der Wagen im Druck des
Fahrtwinds wackelte. Angst hatte ich jedoch nicht, die hatte ich, seit ich Auto fuhr, nur ein einziges Mal gehabt, und zwar am Tag meiner praktischen Prüfung. Sie war an einem frühen Morgen mitten im Winter gewesen, es war stockfinster, ich war noch nie im Dunkeln gefahren. Es goss in Strömen, ich war noch nie bei strömendem Regen gefahren. Außerdem war der Prüfer ein unfreundlich aussehender Mann mit unfreundlicher Ausstrahlung. Den obligatorischen Sicherheitscheck hatte ich natürlich auswendig gelernt. Als Erstes sagte er, wir verzichten auf den Sicherheitscheck. Sehen Sie nur zu, dass Sie die Scheiben frei bekommen, das reicht mir völlig. Ich wusste nicht, wie ich dies außerhalb der einprogrammierten Reihenfolge anstellen sollte, und als ich es herausfand, nach zweiminütigem Tasten auf dem Armaturenbrett, vergaß ich, dass ich den Zündschlüssel drehen musste, damit es funktionierte, woraufhin der Prüfer mich ansah und sagte, »Aber Sie können ein Auto fahren, oder?«, und resigniert den Zündschlüssel für mich drehte. Angesichts eines so unglaublich schlechten Starts, war es auch nicht sonderlich hilfreich, dass ich keine Kontrolle über meine Beine hatte. Sie zitterten und bebten, und die Feinmotorik glänzte durch Abwesenheit, so dass wir uns eher hüpfend als fließend in den Verkehr einreihten. Völlige Dunkelheit. Berufsverkehr. Strömender Regen. Nach hundert Metern erkundigte sich der Prüfer nach meinem Beruf. Ich meinte, ich sei Schriftsteller. Das interessierte ihn ungemein. Er sei eigentlich Kunstmaler, erzählte er. Habe eine Ausstellung gehabt und so weiter. Er begann, mich darüber auszufragen, was ich schrieb. Ich hatte gerade angesetzt, ihm von Alles hat seine Zeit zu erzählen, als er einen Ortsnamen nannte. Vor uns lag ein riesiger Verteiler. Ich sah kein Schild mit dem Namen. Er fragte, ob das Buch auf Schwedisch erschienen sei? Ich nickte. Da! Da war das Schild. Aber weit entfernt in der Spur ganz innen! Also lenkte ich den Wagen
dorthin und gab Gas, aber er stieg auf die Bremse, so dass wir jäh stoppten.
    »Es ist rot!«, sagte er. »Haben Sie das nicht gesehen? Knallrot!«
    Ich hatte nicht einmal wahrgenommen, dass es dort eine Ampel gab.
    »Dann war’s das?«, sagte ich.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Wenn wir eingreifen müssen, ist man durchgefallen. So sind nun einmal die Regeln. Wollen Sie noch ein wenig fahren?«
    »Nein. Wir fahren zurück.«
    Die Fahrprüfung hatte ganze drei Minuten gedauert. Um halb zehn war ich wieder zu Hause. Linda sah mich gespannt an.
    »Durchgefallen«, sagte ich.
    »Oh nein!«, sagte sie. »Du Ärmster! Was ist passiert?«
    »Bin über eine rote Ampel gefahren.«
    »Ist das wahr?«
    »Natürlich ist das wahr! Wer hätte das gedacht, als ich heute so früh aufgestanden bin, dass ich bei der Führerscheinprüfung über eine rote Ampel fahren würde! Aber das ist nicht weiter schlimm. Beim nächsten Mal klappt es bestimmt. Ich fahre nicht bei zwei Prüfungen hintereinander über Rot.«
    Es war wirklich nicht so schlimm. Wir hatten kein Auto, es spielte keine Rolle, ob ich den Führerschein im Januar oder im März bekam. Außerdem hatte ich bereits so unglaubliche Summen für Fahrstunden verschleudert, dass noch etwas mehr auch keine Rolle mehr spielte. Der einzige Haken bestand darin, dass wir für Ende des Monats eigentlich eine Reise geplant hatten. Ich hatte einen Vortrag in Søgne in Südnorwegen angenommen, und wir hatten geplant, gemeinsam hinzufahren, die ganze Familie, um nachher nach Sandøya in der Nähe von Tvedestrand zu fahren, zwei Tage in einer Pension
zu übernachten und zu schauen, wie es uns dort gefiel. Sandøya hatte ich nämlich schon vor Jahren ins Auge gefasst und mir überlegt, dass es für uns ein perfekter Ort zum Leben sein könnte. Eine Insel ohne Autoverkehr, ungefähr zweihundert Einwohner, ein Kindergarten und eine Schule für die ersten drei Klassen. Die Landschaft glich exakt jener, in der ich aufgewachsen war und nach der ich mich so zurücksehnte, mit dem einzigen Unterschied, dass sie es gerade nicht war, eben nicht Tromøya oder Arendal oder Kristiansand, wohin ich um nichts in der Welt zurückkehren wollte, sondern etwas anderes, neues. Manchmal dachte ich,

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