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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Bild?«
    »Da hast du mich erwischt. Ja, ein Bild.«
    Es klopfte an der Tür.
    »Ich rufe dich wieder an«, sagte ich und legte auf. »Komm rein!«
    Linda öffnete die Tür.
    »Du telefonierst?«, sagte sie. »Ich wollte dir nur sagen, dass ich ein Bad nehme. Achtest du ein bisschen darauf, ob jemand wach wird? Ich meine nur, dass du keinen Kopfhörer aufsetzt oder so.«
    »Klar. Gehst du danach ins Bett?«
    Sie nickte.
    »Ich komme dann auch.«
    »Okay«, sagte sie, lächelte und schloss die Tür. Ich rief Geir wieder an.
    »Weiß der Henker«, sagte ich und seufzte.
    »Ich weiß es auch nicht«, meinte er.
    »Und, was hast du heute Abend gemacht?«
    »Blues gehört. Heut sind zehn neue Platten mit der Post gekommen. Außerdem habe ich … dreizehn, vierzehn, fünfzehn neue bestellt.«
    »Du bist verrückt.«
    »Nein, bin ich nicht … Meine Mutter ist heute gestorben.«
    »Was sagst du da?«
    »Sie ist eingeschlafen. Jetzt ist ihre Angst vorbei. Man kann sich fragen, wofür die nun gut war. Mein Vater ist völlig fertig. Odd Steinar natürlich auch. Wir fahren in ein paar Tagen hin. Die Beerdigung ist in einer Woche. Wolltest du um die Zeit nicht auch nach Südnorwegen?«
    »In zehn Tagen«, sagte ich. »Ich habe gerade die Flugtickets bestellt.«
    »Dann sehen wir uns vielleicht. Wir bleiben sicher ein paar Tage.«
    Es wurde still.
    »Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, fragte ich. »Wir haben eine halbe Stunde telefoniert, bis du das sagst. Wolltest du irgendwie eine Pointe daraus machen, dass alles wie immer ist?«
    »Nein, oh nein. Da irrst du dich. Oh nein. Ich wollte nur nicht darin sein. Und wenn ich mit dir rede, entferne ich mich ein bisschen davon. Das ist alles. Du weißt doch, dass es nichts ist, worüber man sich unterhält. Es hilft nicht. Mit dem Blues ist es das Gleiche. Er ist ein Ort, an den ich fliehen kann. Na ja, nicht, dass ich sonderlich viel fühlen würde. Aber ich denke, es ist auch ein Gefühl.«
    »Das ist es.«
     
    Als wir aufgelegt hatten, ging ich in den Flur zwischen Küche und Wohnzimmer und nahm mir einen Apfel, knabberte an ihm und schaute in die Küche, aus der alles herausgerissen war. Mauer, wo die Arbeitsfläche gewesen war, lange Bretter, die an die nackten Wände gelehnt standen, der Boden bedeckt von Staub, verschiedene Werkzeuge und Leitungen, ein paar Gegenstände in Plastikverpackungen, die bald montiert werden sollten. Die Renovierung würde noch zwei weitere Wochen in Anspruch nehmen. Eigentlich wollten wir nur eine Spülmaschine haben, aber die Arbeitsfläche war dafür nicht ausgelegt, und es sei einfacher, so der Handwerker, die ganze Küche auszutauschen. Also folgten wir seinem Rat. Die Hausbesitzer zahlten.
    Eine Stimme ließ mich den Kopf drehen.
    War sie aus dem Kinderzimmer gekommen?
    Ich ging hin und schaute hinein. Sie schliefen, beide. Heidi im oberen Bett, mit den Füßen auf dem Kopfkissen und dem
Kopf auf der zusammengeknüllten Decke, Vanja im unteren Bett, auch sie auf der Decke, Arme und Beine ausgestreckt, so dass ihr Körper ein kleines x bildete. Sie warf den Kopf von links nach rechts und wieder zurück.
    »Mama Muh«, sagte sie.
    Sie hatte die Augen geöffnet.
    »Bist du wach, Vanja?«, sagte ich.
    Keine Antwort.
    Sie schlief bestimmt.
    Manchmal wachte sie spätabends auf und weinte durchdringend, ohne dass man Kontakt zu ihr bekam, sie schrie und schrie, wie in sich selbst gefangen, als gäbe es uns nicht und als wäre sie dort, wo sie war, vollkommen allein. Hoben wir sie aus dem Bett und drückten sie an uns, wehrte sie sich mit aller Macht, trat und schlug und wollte wieder herunter. Wenn wir sie absetzten, war sie genauso wild und unerreichbar. Sie schlief nicht, aber sie war auch nicht wach. Es war eine Art Zwischenzustand, ein herzzerreißender Anblick. Wenn sie am nächsten Tag aufwachte, war sie jedoch gut gelaunt. Ich fragte mich, ob sie sich an ihre Verzweiflung erinnerte oder ob sie ihr wie ein Traum entglitt.
    Dass sie im Schlaf Mama Muh gesagt hatte, würde sie jedenfalls gerne hören, ich durfte nicht vergessen, ihr davon zu erzählen.
    Ich schloss die Tür und ging ins Badezimmer, wo das einzige Licht eine kleine Kerze war, die auf dem Badewannenrand stand und im Luftzug vom Fenster flackerte. Der Dampf hing schwer im Raum. Linda lag mit geschlossenen Augen und dem halben Kopf unter Wasser in der Wanne und setzte sich langsam auf, als sie mich bemerkte.
    »Hier sitzt du in deiner Höhle«, sagte ich.
    »Das tut gut«,

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