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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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Muskeln bewegen. Bloß ein bisschen Kraft sammeln …
    Gefühlt einen Herzschlag später öffnete er die Lider und bemerkte verwirrt, dass es stockdunkel war. Geron saß neben einem prasselnden Lagerfeuer und starrte grimmig ins Leere. Er schien zu spüren, dass Ninosh wach geworden war, denn er sagte, ohne den Kopf zu heben:
    „Heute Nacht werden wir hungrig bleiben, ich hatte kein Glück. Keine flügellahme Ente diesmal. Für Brennnesselblätter bin ich noch nicht verzweifelt genug, ich denke, bei dir ist es ähnlich.“
    Ninosh brummte etwas zur Bestätigung, er hatte nach wie vor zu starke Schmerzen, um Appetit zu spüren. Es fühlte sich an, als hätte er sich bei Gerons Rettung mindestens eine weitere Rippe gebrochen, oder eine bereits beschädigte zum zweiten Mal. Atmen war jetzt eher noch schwieriger als zuvor und eigentlich war es bereits zu ermüdend, über irgendetwas nachdenken zu müssen. Er ließ die anstrengende Prozedur über sich ergehen, mit der Geron ihn zwang aufzustehen, sich zu erleichtern, zu trinken, zwei großzügige Schlucke von dem Trank zu nehmen und sich dann wieder wie erschlagen auf dem Boden niederzulassen, mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt. Diesmal saß er nicht auf der nackten Erde, sondern einem schmalen Stück Plane, was deutlich angenehmer war. Ninosh dämmerte schon eine Weile dahin, berauscht von dem Schmerzmittel, als er spürte, wie sich Geron neben ihm niederkniete.
    „Ninosh?“
    Er blieb regungslos, stellte sich schlafend, zu elend, um zu reagieren. Auch als sein Gefährte ihm ein Stoffbündel in den Nacken legte, was die Bequemlichkeit seiner Haltung deutlich verbesserte, und ihm schweißverklebte Haarsträhnen aus der Stirn strich, rührte er sich wenig. Abgesehen von einem gelegentlichen Murren, wenn die Bewegungen seines Körpers zu unangenehm wurden.
    „Danke, dass du mir das Leben gerettet hast“, flüsterte Geron. „Ich wünschte, ich könnte verstehen, warum du es getan hast …“
    Ob er die Rettung oder die Morde meinte, ließ er offen. Ninosh hatte die Sehnsucht in Gerons Stimme gehört. Der Mann begehrte ihn.
    Es tut mir so leid … Ohne mich wärst du in deinem sicheren Lager geblieben. Es tut mir so leid!

    Ein Schrei, gefolgt von wilden Flüchen, weckte Ninosh aus tiefem Schlaf. Der Trank war stark, er hatte etliche Stunden gewirkt, denn die Sonne stand bereits recht hoch am Himmel. Er brauchte einen Moment, seinen benommenen Verstand zum Funktionieren zu bringen, bis er wusste, wo er war und wer dort so gotteslästerlich fluchte.
    Geron hockte am Ufer, hielt seinen linken Fuß ins Wasser, während er den rechten mit dem Messer traktierte. Beunruhigt raffte Ninosh sich hoch, ignorierte sein eigenes schmerzliches Gewinsel – verdammt, sollte es nicht langsam besser mit ihm werden? – und näherte sich zögernd seinem Gefährten. Die Ursache für dessen Wutausbruch war leicht zu erkennen: Gerons Fußsohle war mit blutgefüllten Blasen übersät, und er schien gerade zu versuchen, einen Splitter zu entfernen. Unsicher, ob er ihn ansprechen und Hilfe anbieten sollte, ließ Ninosh sich bei ihm nieder. Dafür erntete er einen gereizten Blick, wurde ansonsten aber ignoriert.
    Geron mühte sich weiter, wechselte zwischendurch die Seiten – die linke sah genauso mitgenommen aus – bis er mit einem frustrierten Schnauben das Messer fallen ließ.
    „Ich hätte die Stiefel nicht zurücklassen dürfen“, stieß er wütend hervor. Vom Wasser verhärtet oder nicht, vielleicht hätte ich wenigstens die Sohlen noch irgendwie nutzen können.“ Er wies auf seine Füße, die er momentan beide im Fluss kühlte. „Gestern ging es noch irgendwie, aber heute kann ich vermutlich keine drei Schritte humpeln. So eine verdammte …!“
    Bevor Ninosh reagieren konnte, hatte Geron ihn am Knöchel gepackt und inspizierte seine Füße.
    „Wieso hast du nichts?“, fragte er anklagend. „Keine Blasen, keine Splitter. Dafür eine Hornhaut so dick wie Pferdehufe. Wer von uns beiden ist hier eigentlich der Prinz?“
    Ninosh entzog sich ihm kopfschüttelnd. Er konnte ihm nicht sagen, warum er die meiste Zeit seines Lebens barfuß gelaufen war und sich dabei wohler fühlte als mit Schuhen oder Stiefeln. Es würde zu viele Fragen nach sich ziehen, die er nicht beantworten wollte.
    „Soll ich …?“, fragte er leise und nickte zu Gerons Beinen hinüber, auf der Hut vor wütenden Reaktionen, da ihm das Sprechen eigentlich verboten war. Der furchte allerdings lediglich die

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