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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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blutete sofort, als Geron das Stoffband festzog. Ninosh protestierte nicht, zeigte mit keinem Laut, dass er litt. Er legte den Kopf auf dem Stein ab, das Gesicht blieb unbewegt, während er zu Geron aufschaute. Trotzdem war ihm an der Nasenspitze abzulesen, wie schlecht es ihm ging.
    Schon wieder dieses Mitgefühl! Du bist schlimmer als jedes Klageweib!
    „Du rührst dich nicht vom Fleck, egal was geschieht“, befahl Geron und riss sich gewaltsam von dem Anblick des zusammengekauerten Mannes los.
    Ich muss aufhören, den Menschen in ihm zu sehen, sonst bringt es mich um, dachte er. Ich darf mir nicht zu sicher sein, dass er wirklich so hilflos und schwach ist, wie er tut. Sagte er nicht, seine Opfer hätten ihn zum Essen eingeladen, bevor er sie abgeschlachtet hat?
    Ihm wurde erneut bewusst, dass er keine Details kannte. Waren es alte oder junge Menschen gewesen? Männer, Frauen, Kinder? Landsleute oder Ausländer? Warum hatte Ninosh sie abgeschlachtet?
    Es waren sicher Ausländer, vielleicht eine Flüchtlingsgruppe. Warum sollte er sonst stolz auf seine Tat sein?
    Entschlossen konzentrierte Geron sich auf sein Vorhaben. Es war tatsächlich einfach, auf die erste Untiefe zu gelangen. Der Untergrund bestand aus losen Steinen in verschiedenen Größen, die von der Tibba hier angeschwemmt wurden, darum musste er sich sehr vorsichtig bewegen, um seine bereits geschundenen Füße nicht an scharfen Steinkanten aufzuschlitzen. Er nutzte feste Felsformationen, um sich festzuhalten, während er auf die große Sandbank zusteuerte. Gelegentlich rutschte er weg, konnte sich aber jedes Mal abfangen, bis er es rascher und leichter als erwartet zum Schiff geschafft hatte. Geron blickte kurz über die Schulter – Ninosh kauerte weiterhin regungslos dort, wo er zurückgelassen worden war.
    Er sah sich um, fand aber keine Leichen, worüber er aus mehreren Gründen erleichtert war. Geron fühlte sich schuldig, gleichgültig wie oft er sich sagte, dass er nichts hätte verhindern können. Weder das Feuer noch dass die Männer anschließend ertrinken mussten.
    Zudem besaß er kein Werkzeug, mit er die Toten hätte bestatten können. Sicherheitshalber schickte er ein weiteres Stoßgebet an die göttliche Macht, schaden konnte es nicht.
    Im Schiffsrumpf klaffte ein gewaltiges Loch, sodass Geron von unten aus in den Laderaum klettern konnte. Das Deck war zu stark vom Feuer beschädigt, dort wollte er nicht hinaufsteigen.
    Erstaunlicherweise war im Laderaum nicht ebenfalls alles verbrannt und es war auch weniger Wasser eingedrungen als befürchtet. Zuversichtlich wühlte Geron sich durch die Kisten und Fässer. Die meisten waren leer, da das Schiff lediglich Vorräte zum Grenzposten hin und leere Behälter zurück zum Hauptstützpunkt bringen sollte, wo sie neu gefüllt wurden. Doch auch für die kurze Reise benötigte man Lebensmittel, Ausrüstung und Werkzeug, um Matrosen wie Passagiere zu versorgen. Bei den Lebensmitteln hegte Geron keine Hoffnung, da diese vermutlich größtenteils in der Kombüse gelagert gewesen waren. Was sich hier unten befand, dürfte von Feuer und Wasser ungenießbar geworden sein. Stattdessen fand er Seile, eine Axt und diverse andere nützliche Werkzeuge, außerdem eine Kiste voller Zeltplanen. Sie waren fast alle aufgrund von Flammen und Rauch unbrauchbar, aber wenigstens eine konnte er bergen, die nicht allzu stark verräuchert worden war. Wenn er sie durchschnitt, konnten Ninosh und er heute Nacht auf trockenem Grund schlafen und sich sogar einen Windschutz bauen. Nun gut, zugegeben, ein schmales Stück Plane war dafür recht wenig … Sollte es wieder regnen, hätten sie dafür diesmal etwas, das sie sich über die Köpfe ziehen konnten.
    Geron brachte seine Schätze nach draußen, um die Hände für weitere Bergungsarbeiten frei zu haben. Ninosh schien eingeschlafen zu sein, er lag jedenfalls immer noch mit dem Kopf auf dem Felsen und hatte sich nicht gerührt. Flüchtig geriet Geron darüber in Sorge – falls sich ein Wildtier heranpirschen sollte, wäre Ninosh vollkommen schutzlos und könnte nicht einmal versuchen zu fliehen.
    Unsinn. Es ist helllichter Tag und zu dieser Jahreszeit ist der Tisch für alle Raubtiere reichlich genug gedeckt, dass die keinen Bedarf an Menschenfleisch haben. Hör auf, ununterbrochen an ihn zu denken!
    Er kletterte zurück in den Laderaum und stakste vorsichtig in den überfluteten Bereich. Hier war es recht dunkel und er konnte nicht sehen, wohin er seine bloßen Füße

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